Pflegen statt Foppen

Keine Sozialleistung nach dem Zufallsprinzip: Wenn Hundstorfer die Stopptaste drückt, ist es erst der Anfang.

Gottes Mühlen mögen langsam mahlen, jene der heimischen Sozialversicherungs- und Ministerialbürokratie mahlen langsamer. Sozialminister Hundstorfer will jetzt im Herbst in einem Pilotversuch neue Wege bei der Einstufung für das Pflegegeld gehen und neben Ärztegutachten die Pflegekräfte einbinden. Gut. Allerdings ist es fast genau ein Jahr her, dass der Rechnungshof in einem Prüfbericht auf Qualitätsmängel bei den Gutachten und auf bürokratische Schikanen für hilfsbedürftige Menschen und ihre Familienangehörigen aufmerksam gemacht hat.

Während in der Öffentlichkeit selbst der fünfte politische Zwerg von rechts mittlerweile über Verwaltungsvereinfachungen schwadroniert, war in der Vergangenheit beim Pflegegeld zu oft das Gegenteil der Fall. Gerade hilfsbedürftige ältere Menschen, die sich noch dazu meist im Umgang mit staatlichen Behörden schwertun, waren bisher in einem Irrgarten unterwegs. Weil, wie die Prüfer des Rechnungshofes bemängelten, aufgrund der Einbindung von Sozialversicherungsanstalten und Gemeinden bis zu 280 Stellen für die Abwicklung zuständig waren. Damit es möglichst kompliziert ist, gibt es neben der Bundesregelung für Pflegegeld auch noch neun verschiedene Pflegegeldvorschriften der Bundesländer. Wer ein Versteckspiel erfinden möchte, könnte das auch nicht gefinkelter aufziehen.


Menschlichkeit spielt in einem solchen System wohl eher eine untergeordnete Rolle, außer bestimmte Bedienstete der Behörden nehmen sich ganz persönlich der Schicksale an, die hinter den eingereichten Antragsformularen stecken. Hauptsache, der administrative Apparat ist wohlgepflegt. Kein Wunder, dass Betroffene oft monatelang auf den Ausgang dieses bürokratischen Hindernislaufes warten und die Entscheidung dann mitunter gar nicht mehr erleben.

Nachdem Bundeskanzler Faymann vor dem Sommer die „Zeit für Gerechtigkeit“ österreichweit via Plakat ausgerufen hat, ist es höchste Zeit, dass diese auch für rund 400.000 Bezieher von Pflegegeld anbricht. Denn bisher war dies mit Sicherheit nicht der Fall. Wenn es um die Höhe des zuerkannten Pflegegeldes ging, waren offenkundig nicht die tatsächlich vorhandenen körperlichen Gebrechen und das Ausmaß der notwendigen Betreuung durch Familienangehörige oder externe Pflegekräfte ausschlaggebend. Es handelte sich vielmehr um eine Art Glücksspiel, bei dem Menschen in bestimmten Regionen von vornherein Pech hatten und haben. Wenn etwa in Vorarlberg die Wahrscheinlichkeit gleich dreimal so hoch wie im Bundesschnitt ist, dass man Pflegegeld der zweithöchsten Stufe erhält, so ist das mit hundertprozentiger Sicherheit nicht darauf zurückzuführen, dass plötzlich eine größere Zahl an betreuungsbedürftigen Personen in den äußersten Westen ausgesiedelt wurde. Sondern auf eine völlig unterschiedliche Einstufung. Das nächste Mal dürfen Betroffene am Ende im Fernsehen am Glücksrad drehen, wenn es um die Höhe der Pflegeleistung geht. Das wäre jedenfalls publikumswirksamer.


Im Ernst: Da war doch irgendwann einmal etwas, das im Politiksprech „One-Stop-Shop“ genannt wurde. Es war also, damit es alle verstehen, von einer einzigen Anlaufstelle für Bezieher von Sozialleistungen die Rede. Jetzt ist es zwar nicht so, dass stattdessen laufend Nonstop-Nonsens erfolgt. Aber in der Realität werden Bürger, die um Pflegemittel ansuchen, leider immer noch zu oft im Kreis geschickt.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Geld. Mit 500 Millionen Euro zusätzlich beziffert Sozialminister Hundstorfer die Mehrkosten, die für die Pflege notwendig sein werden. Ein Pflegefonds soll dafür her. Fonds, das klingt stets so harmlos anonym. Bei Gelegenheit wird er die Österreicher darüber aufklären müssen, wie er in Sparzeiten zu dieser Summe kommen will.

Ach ja, die SPÖ verlangt doch neue vermögensbezogene Steuern. Das Pech ist nur, dass die Einnahmen von den Sozialdemokraten längst für das Stopfen der Budgetlöcher verplant sind, weil sie die breite Masse der Bevölkerung keinesfalls mit höheren Mehrwertsteuern oder einem höheren Spritpreis belasten wollen.

Hundstorfer macht sich jetzt auf, für mehr Durchblick zu sorgen. Applaus, auch wenn es nur die ersten Schritte sind. Noch fließt zu viel Geld in den Apparat statt direkt zu Betroffenen. Am Ende kriegt der Minister gar noch die goldene Heckenschere für Verdienste um seine Gärtnerarbeiten im Wohlfahrtsstaat.

Pflegefonds: Sozialminister blitzt ab Seite1
Neue Einstufung beim Pflegegeld Seite2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2010)

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