Rechtsstaatlichkeit

Viktor Orbán auf Konfrontationskurs mit der EU-Kommission

Viktor Orbán und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sind in vielen Punkten uneins.
Viktor Orbán und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sind in vielen Punkten uneins.APA/AFP/POOL/FRANCOIS LENOIR
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Budapest fordert Kommissarin Jourová zum Rücktritt auf, weil sie Ungarn als "kranke Demokratie“ bezeichnet haben soll. Die Kommissarin wird schon am Mittwoch einen Bericht über Ungarn vorlegen. Viktor Orbán zeigt jetzt schon, was er davon hält.

Dabei hatte es fast ein wenig nach Beruhigung ausgesehen am Montag. Denn Deutschland reichte Ungarn und Polen mit einem Kompromissvorschlag die Hand. Kürzungen von EU-Finanzhilfen wären nur nach der Feststellung möglich, dass Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit direkte Auswirkungen auf den Umgang mit Geld der EU haben. Die EU-Kommission wollte einen härteren Weg gehen und den Zugang zu Finanzmitteln generell von der Einhaltung der Rechtstaatlichkeit abhängig machen. Es könnte also einen Kompromiss geben.

Doch die Stimmung zwischen Ungarns Premierminister Viktor Orbán und der EU-Kommission erreichte am Dienstag einen neuen Tiefpunkt. Was ein Rechtsstaat, ein „richtiger“ im Sinne von „guter“ Staat ist, darüber streiten Ungarn und Kommission schon lange. Jüngste Aussagen der tschechischen EU-Kommissarin Vera Jourová brachten das ungarische Fass aber zum Überlaufen.

Jourová, die auch EU-Kommissarin für Werte und Transparenz ist, hatte laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in einem Interview des Magazins "Der Spiegel" den Zustand der ungarischen Medienlandschaft als "alarmierend" bezeichnet. In den dortigen Medien gebe es kaum noch Kritik an der Regierung, so dass eine große Mehrheit der Ungarn womöglich gar nicht mehr in der Lage sei, sich eine freie Meinung zu bilden. Über Orban sagte die Tschechin: "Ich würde sagen: Er baut eine kranke Demokratie auf."

Orbán fordert Rücktritt

Die Reaktion von Orbán kam mit lautem Poltern. In einem am Dienstag veröffentlichten Schreiben an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verlangte Orbán ihren Rücktritt. Jourová habe ihr Mandat verletzt, und Ungarn lege bis zum Rücktritt alle Kontakte mit ihr auf Eis. EU-interne diplomatische Eiszeit sozusagen - zwischen der Kommissarin und dem Land, für das sie Sanktionen prüfen soll.

Jourová ist als Vizepräsidentin der EU-Kommission unter anderem für das Sanktionsverfahren gegen Budapest zuständig. Die der liberalpopulistischen ANO des tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš angehörende Politikerin gilt als eines der Schwergewichte der Brüsseler Behörde. Orbáns Rücktritts-Aufforderung erfolgt kurz vor der Veröffentlichung eines Rechtsstaatsberichts durch die Kommissarin.

"Die Aussagen von Vizepräsidentin Vera Jourová sind nicht vereinbar mit ihrem derzeitigen Mandat und deshalb ist ihr Rücktritt unausweichlich", betonte Orbán. Er empörte sich insbesondere auch darüber, dass Jourová gesagt habe, die Ungarn könnten sich keine unabhängige Meinung bilden. Dies sei eine "inakzeptable" Beleidigung des ungarischen Volkes.

Archivbild von EU-Kommissarin Vera Jourová, eine der erfahreneren und einflussreichen Vize-Präsidentinnen der Kommission.
Archivbild von EU-Kommissarin Vera Jourová, eine der erfahreneren und einflussreichen Vize-Präsidentinnen der Kommission.APA/AFP/LUDOVIC MARIN

Von der Leyen stärkt Jourová den Rücken

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich jedenfalls hinter die Tschechin gestellt. Von der Leyen arbeite eng mit Jourová in Sachen Rechtstaatlichkeit zusammen, sagte eine Sprecherin der Behörde in Brüssel am Dienstag. Jourová habe "volles Vertrauen" der EU-Kommissionspräsidentin.

Die Kommission kündigte zudem an, dass die Behörde bereits am Mittwoch ihren ersten Jahresbericht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in allen 27 Mitgliedstaaten vorlegen werde. Dies war ursprünglich erst am Montag - und damit nach dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende dieser Woche geplant, zu dem auch Orbán kommt.

Die Sprecherin wollte sich nicht direkt zu der Frage äußern, ob die Vorverlegung eine Reaktion auf Orbáns Rücktrittsforderung sei. Demnach sei es der übliche Prozess, dass die Themen der wöchentlichen Kommissionssitzung erst einen Tag zuvor endgültig bekannt gegeben würden.

Kritik von EU-Abgeordneten

Für die österreichischen EU-Abgeordneten ist Orbáns Kritik an der der EU-Kommissarin nicht nachvollziehbar. Jourová "verteidigt unser Recht, unsere Werte und damit auch unsere Gemeinschaft", schrieb ÖVP-EU-Abgeordneter Othmar Karas auf Twitter. "Orbán macht, was er Jourová vorwirft: 'die eklatante Verletzung des Prinzips der aufrichtigen Zusammenarbeit'".

Die sozialdemokratische EU-Abgeordnete Bettina Vollath teilte in einer Aussendung mit, "wenn eine Frau in klarer Sprache Missstände aufzeigt, werden autoritäre Machthaber nervös". Jourová habe ihre "volle Unterstützung". Die EU dürfe jetzt nicht nachgeben, sonst "schadet sie ihrer eigenen Glaubwürdigkeit - nach innen und nach außen", erklärte Vollath weiter. Nicht weit genug geht der EU-Abgeordneten der Kompromissvorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft für einen Rechtsstaatsmechanismus: "Der Vorschlag gibt an entscheidender Stelle nach, einziger Hebel bliebe das Missmanagement von EU-Geldern."

»Orbán täte gut daran, sich weitere überzogene Wortspenden zu sparen und stattdessen die Kritik aus Brüssel ernst zu nehmen.«

Monika Vana, Die Grünen

Monika Vana, Delegationsleiterin der Grünen im EU-Parlament, übte ebenfalls in einer Aussendung scharfe Kritik: "Orbán täte gut daran, sich weitere überzogene Wortspenden zu sparen und stattdessen die Kritik aus Brüssel ernst zu nehmen. Sein derzeitiger politischer Kurs ist uneuropäisch und entbehrt jeglicher Räson." Die Rücktrittsaufforderung könne "freundlichstenfalls ignoriert werden". Vana forderte mit Verweis auf die EU-Budgetverhandlungen im Herbst "endlich wirksame Instrumente, um Rechtsstaatsverletzer und Antidemokraten in die Schranken zu weisen".

Die Rücktrittsaufforderung Orbáns zeige, dass sich der ungarische Ministerpräsident "seine Gegner am liebsten mundtot macht anstatt sich mit der Kritik auseinanderzusetzen", heißt es in einer Aussendung von Neos-Europaabgeordneter Claudia Gamon, und sie übte scharfe Kritik an der Europäischen und Österreichischen Volkspartei (EVP bzw. ÖVP): "Die EVP hält scheinbar weiter zu Orbán und schafft es nicht, sich von ihm zu trennen. Wie lange will die ÖVP hier noch zuschauen?" Für Neos und die Renew Europe-Fraktion sei ein EU-Budget und Wiederaufbaufonds ohne einen "echten" Rechtsstaatlichkeitsmechanismus "absolut inakzeptabel."

(klepa/Ag.)

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