Hepatitis C

Medizin-Nobelpreis: Ein Virus, gegen das es keine Impfung gibt

22 Nanometer Durchmesser: Dieses Bild des (notorisch schwer darzustellenden) Hepatitis-C-Virus ist mit einem Transmissionselektronenmikroskop entstanden.
22 Nanometer Durchmesser: Dieses Bild des (notorisch schwer darzustellenden) Hepatitis-C-Virus ist mit einem Transmissionselektronenmikroskop entstanden.Universal Images Group via Getty
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Zwei US-Amerikaner und ein Brite teilen sich den Nobelpreis – für Arbeiten über das Hepatitis-C-Virus.

Weltweit reden alle über das Coronavirus Sars-CoV-2, da hat sich das schwedische Nobelpreiskomitee in einer geradezu dialektischen Volte entschlossen, über ein anderes Virus zu reden, das die Menschen schon viel länger plagt: das Hepatitis-C-Virus. Es befällt die Leber und bewirkt, dass sie sich entzündet. Das nennt man Hepatitis. Von dieser kannte man bis in die 1980er-Jahre zwei Formen: Hepatitis A und Hepatitis B. Beide werden von Viren ausgelöst, gegen beide gibt es seit Längerem eine Impfung.

Non A, non B

Doch in den 1980er-Jahren häuften sich Fälle von offensichtlicher Hepatitis, die sich weder als A noch als B diagnostizieren ließen. Tragischerweise waren viele Fälle darunter, die offenbar durch Bluttransfusion bewirkt worden waren. Mit einigem wissenschaftlichen Widerwillen zeigte der US-Mediziner Harvey J. Alter diese Fälle auf und sprach konsequenterweise von Hepatitis-non-A-non-B. Bald war klar, dass auch dafür ein Virus verantwortlich sein musste, und es gelang in Experimenten, Individuen der dem Menschen nächsten Art, also Schimpansen, durch Bluttransfusion mit dieser Hepatitis anzustecken. Aus ethischen Gründen sind solche Experimente in Europa im Gegensatz zu den USA verboten. Von selbst infizierte Tiere stehen keine zur Verfügung: Der Mensch ist derzeit der einzige bekannte natürliche Wirt für dieses Virus. Wobei man sich natürlich fragt, woher es ursprünglich kommt. Man vermutet, dass es von Nagetieren auf uns übergesprungen ist, vielleicht sogar – schon wieder eine Corona-Assoziation! – von Fledermäusen.

Die neuen Nobelpreisträger

Harvey J. Alter wurde 1935 in New York geboren. Gerne wäre er professioneller Baseballspieler geworden, aber dafür war er nicht so begabt. Also studierte er Medizin an der University of Rochester. Er arbeitete für die National Institutes of Health und an der Georgetown University, wo er eine Bank mit Proben von Blutspendern aufbaute. [ AFP ]

Michael Houghton, geboren 1949 in England als Sohn eines Lastkraftwagenfahrers, studierte Biologie an der University of East Anglia. promovierte 1977 am King's College London. Er war u. a. bei der Chiron Corporation, bis heute ist er Professor für Virologie an der University of Alberta. Ein deutscher Kollege beschreibt ihn als „extrem bescheiden und verlässlich“. [ University of Alberta]

Charles M. Rice wurde 1952 in Sacramento geboren. Als großer Hundefreund wollte er zuerst Veterinärmedizin studieren, stieg dann aber auf Biochemie um. Er promovierte 1981 am California Institute of Technology. Er wirkte u. a. an der Washington University School of Medicine und an der Rockefeller University. Das Hepatitis-C-Virus nennt er einen „hartnäckigen Unruhestifter“. [ AFP ]

Aus dem Blut eines solchen Schimpansen isolierte jedenfalls der britische Biochemiker Michael Houghton, damals bei der Pharmafirma Chiron, DNA-Fragmente, die offenbar Vorlagen für Proteine des gesuchten Virus waren. Doch es stellte sich heraus, dass dieses selbst seine Erbinformation nicht in Form von DNA, sondern von deren vielseitiger Schwester, der RNA, trägt, also ein RNA-Virus ist. Und zwar ein einzelsträngiges mit positiver Polarität und einer Hülle. Alle diese drei Eigenschaften teilt es übrigens mit den Coronaviren, die aber viel größere Genome haben und zu einer ganz anderen Klasse von RNA-Viren gezählt werden.

Man nannte es in bestechender Schlichtheit Hepatitis-C-Virus (HCV) und fragte sich als nächstes: Kann es allein die Krankheit auslösen? Das zu beweisen gelang, wiederum in Versuchen an Schimpansen, dem US-Virologen Charles M. Rice.

Das Virus mutiert dauernd

Die Forschungen von Alter, Houghton und Rice waren die Basis für die Entwicklung etlicher Medikamente gegen dieses Virus. Dieses hat noch eines mit Sars-CoV-2 gemeinsam: Es gibt keine Impfung dagegen. Doch die Hoffnung, eine solche zu entwickeln, ist deutlich geringer als bei Covid-19. Das Hepatitis-C-Virus hat eine Polymerase (ein Enzym, das zur Vervielfältigung dient), die sehr ungenau arbeitet. Das heißt, es verändert sich dauernd. Dadurch weicht es den Attacken des Immunsystems aus und verursacht eine chronische Infektion. Noch schlimmer: Es kann wie manche andere Viren, darunter das Hepatitis-B-Virus und das Herpesvirus HHV-8, Krebs auslösen. Auch deshalb ist die Forschung an HCV so dringlich. Leider wird sie dadurch erschwert, dass es gelungen ist, Sequenz unter Struktur dieses Virus unter Patentschutz zu stellen. Die Patente hält derzeit Novartis.

„Millionen Leben gerettet"

Dank der vielen Medikamente – die fast alle einen Namen tragen, der auf „vir“ endet, etwa Ombitasvir oder Sofosbuvir, und bestimmte Enzyme des Virus blockieren – ist Hepatitis C aber heute ganz gut bekämpfbar. Die nun ausgezeichneten Forscher hätten „Millionen Leben gerettet“, sagt das Nobelpreiskomitee. Dennoch sterben jährlich über eine Million Menschen daran.

Dass man heute auch in Industrieländern wieder mehr von Hepatitis C hört, liegt auch an kulturellen Faktoren: Neben Bluttransfusionen und Drogeninjektionen sind Piercen und Tätowieren gute Gelegenheiten, sich mit dem so unheimlich wandelbaren Virus anzustecken. So sind etwa in Deutschland die beim Robert-Koch-Institut gemeldeten HCV-Fälle von 2010 bis 2019 leicht gestiegen, von 4998 auf 6633 Infektionen.

Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ging im Vorjahr an die beiden US-Forscher William Kaelin und Gregg Semenza sowie ihren britischen Kollegen Peter Ratcliffe. Sie wurden für die Entdeckung molekularer Mechanismen der Sauerstoffaufnahme von Zellen ausgezeichnet.

Die Preisträger der vergangenen zehn Jahre

2019: Die US-Zellforscher William Kaelin und Gregg Semenza und ihr britischer Kollege Peter Ratcliffe erhielten den begehrten Preis für ihre Entdeckungen zu der Frage, wie Zellen unterschiedliche Sauerstoffmengen messen und sich daran anpassen können.

2018: Der US-Forscher James Allison und der japanische Wissenschafter Tasuku Honjo teilen sich den Nobelpreis für Physiologie und Medizin in Anerkennung ihrer Entdeckungen über Immuncheckpoints, die zur modernen Immuntherapie gegen Krebserkrankungen führten.

2017: Die US-Forscher Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young für die Erforschung der biologischen "Inneren Uhr" von Organismen.

2016: Der Japaner Yoshinori Ohsumi, der das lebenswichtige Recycling-System für Proteine in Zellen entschlüsselt hat.

2015: Die Chinesin Youyou Tu, die den Malaria-Wirkstoff Artemisinin entdeckt hat. Sie teilte sich den Preis mit dem gebürtigen Iren William C. Campbell und dem Japaner Satoshi Omura, die an der Bekämpfung weiterer Parasiten gearbeitet hatten.

2014: Das norwegische Ehepaar May-Britt und Edvard Moser sowie John O'Keefe (USA/Großbritannien) für die Entdeckung grundlegender Strukturen des Orientierungssinns des Menschen.

2013: Thomas Südhof (gebürtig in Deutschland) sowie James Rothman (USA) und Randy Schekman (USA) für die Entdeckung von wesentlichen Transportmechanismen in Zellen.

2012: Der Brite John Gurdon und der Japaner Shinya Yamanaka für die Rückprogrammierung erwachsener Körperzellen in den Embryonalzellen.

2011: Bruce Beutler (USA) und Jules Hoffmann (Frankreich) für Arbeiten zur Alarmierung des angeborenen Abwehrsystems. Ralph Steinman aus Kanada entdeckte Zellen, die das erworbene Immunsystem aktivieren. Er war kurz vor der Verkündung gestorben und bekam den Preis posthum.

2010: Der Brite Robert Edwards für die Entwicklung der Reagenzglas-Befruchtung.

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