Warum Chinas Rekordbörsengang geplatzt ist

FILES-CHINA-HONG KONG-ECOMMERCE-ANTGROUP-IPO-MA
FILES-CHINA-HONG KONG-ECOMMERCE-ANTGROUP-IPO-MAAPA/AFP/STR
  • Drucken

Jack Ma, Chinas reichster Mann, hatte mit seiner Ant Group das traditionelle Bankensystem herausgefordert. Dafür wurde ihm nun die Rechnung präsentiert.

In China gibt es eine Volksweisheit, die besagt: Der Nagel, der am höchsten herausragt, wird zuerst eingeschlagen. Am Dienstag schließlich hat der staatliche Vorschlaghammer den reichsten Mann des Landes getroffen: Unternehmer Jack Ma, der mit dem Rekordbörsengang seiner Ant Group Geschichte schreiben wollte.
Seit Wochen bereits fieberten Anleger dem spektakulären Deal entgegen, über 37 Mrd. US-Dollar hatte das Fintech aus Hangzhou bereits eingesammelt. Mehr als die schiere Dimension überraschte die Kampfansage an die Wall Street: Der Finanzdienstleister Ant hätte schließlich in Shanghai und Hongkong gelistet werden sollen.
Daraus wird nun vorerst nichts; offiziell hatte die Shanghaier Börse erklärt, dass Ant Group seine Offenlegungspflichten nicht erfüllen könne. Man wolle „die Kapitalmarktstabilität und das Interesse der Investoren schützen“, legte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Mittwoch nach. Tatsächlich agiert die Ant Group diametral zu den bürokratischen Großbanken Chinas, die vor allem Kredite an aufgeblähte Staatsunternehmen gewähren. An Ant wenden sich vor allem mittelständische Geschäftsleute und normale Konsumenten für Darlehen.
Doch im modernen China erzählt der offizielle Grund niemals die ganze Wahrheit. Vieles legt nahe, dass Jack Ma den Preis für eine gewagte Rede von vor zwei Wochen zahlen muss. Damals hat er in Shanghai beim Bund Financial Forum einen Vortrag gehalten, der sich wie eine Kampfansage an das chinesische Bankensystem liest. „Die heutigen Banken setzen die Pfandhausmentalität fort“, sagte der studierte Englischlehrer etwa. Und: Jene Mentalität könne „die finanziellen Bedürfnisse der globalen Entwicklung der nächsten 30 Jahre nicht unterstützen“. Großbanken seien wie Flüsse, fügte Ma in seiner metaphorischen Sprache an. Was es jedoch brauche, seien Seen und Teiche, Bäche und Sümpfe. Ohne diese würde man in den Fluten untergehen. Besonders prekär: Im Publikum saß die Elite von Chinas Finanzsystem dicht an dicht – und mit höchster Wahrscheinlichkeit erzürnt über die Aufmüpfigkeit Jack Mas.

Der Bill Gates von China

Seine Ant Group steht nun massiv unter Druck. Der Mutterkonzern Alibaba hat an der Hongkonger Börse am Mittwoch einen regelrechten Sturzflug hingelegt: Über sieben Prozent brach der Kurs des Online-Handelshauses ein.
Bereits vor zwei Jahren kochten Gerüchte auf, dass die Staatsführung der Kommunistischen Partei den Unternehmer-Star Jack Ma aufs Abstellgleis geschoben habe: Damals nämlich kündigte der heute 56-Jährige seinen Rücktritt aus dem Tagesgeschäft seines E-Commerce-Imperiums an. Reichlich früh für einen Mann im Zenit seiner Karriere, munkelten Beobachter. Die Vermutung lag auf der Hand: Dem paranoiden Chefideologen Chinas, Staatschef Xi Jinping, wurde Ma zu mächtig.
Doch Ma ist in den heimischen Medien präsenter als je zuvor. Wie Bill Gates fokussiert sich der Alibaba-Gründer mit seiner Stiftung vorwiegend auf philanthropische Projekte, doch hält er durch seine Firmenanteile nach wie vor die Fäden in der Hand.
Tatsächlich kann es sich die Kommunistische Partei nicht leisten, ihren schillerndsten Entrepreneur abzusägen. Jack Ma personifiziert wie kein Zweiter den „chinesischen Traum“: Als einfacher Student kämpfte er sich mit Ehrgeiz und visionären Ideen – und nicht, wie sonst in China üblich, dem richtigen Familienhintergrund – zu Wohlstand. Damit prägte er eine ganze Generation an Start-up-Gründern und Unternehmern, die sich von den alten Strukturen lossagen wollten. Wenn Jack Ma fällt, dann platzt auch das Versprechen, dass es in China jeder zu Geld schaffen kann. Genau dies aber wäre eine große Gefahr für die soziale Stabilität im Land, nehmen die Chinesen doch die umfassenden Repressionen des autoritären Systems vor allem deswegen hin, weil sie eine Aussicht auf eine materiell bessere Zukunft haben.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Jack Ma ist seit Oktober nicht mehr öffentlich aufgetreten.
China

Wo ist Jack Ma?

Seit Ende Oktober hat sich Chinas mächtigster Unternehmer aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Etliche Medien spekulieren um Jack Mas Verbleib. Mehr als Mutmaßungen gibt es freilich nicht.
Alibaba-Gründer Jack Ma ist der reichste Chinese.
Coronakrise

Krise machte Chinas Reichste noch reicher

In China gibt es 878 Milliardäre - mehr als in den USA. Die Digitalisierung infolge der Coronakrise machte die meisten von ihnen  noch wohlhabender.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.