Die Ich-Pleite

"Scheiterhaufen" oder "der neue Inkuchen vom Inbäcker Sowieso"?

Carolina Frank
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In früheren Zeiten assoziierte man „Scheiterhaufen“ noch mit der Hexenverfolgung.

Wenn man heutzutage das Wort "Scheiterhaufen" googelt, kommt als Erstes ein Mehlspeisenrezept und nicht ein Eintrag zum Thema Hexenverfolgung. Ich finde, das ist ein Indiz dafür, wie weit wir uns von den finsteren Zeiten entfernt haben, in denen Frauen für jedes bisschen Anderssein grausam diffamiert worden sind. Ich wette, wenn ich heute am Bobo-Markt eine Umfrage zum Thema "Scheiterhaufen" mache, wird mir jeder sagen: Das ist der neue Inkuchen vom Inbäcker Sowieso. Drei Euro achtzig das Stück. Ich würde dasselbe sagen. Obwohl für mich damals als Geschichtestudentin das Thema Hexenverfolgung das zweitwichtigste Thema nach dem Holocaust war und Scheiterhaufen eine Mehlspeise, die ich meiner Oma nur mit der hoffnungsvollen Frage "Und was gibt's sonst noch?" abgenommen habe.

Heute bin ich längst ebenfalls ein Opfer des Inkuchens vom Inbäcker Sowieso. Weil, was hat man sonst schon für Freuden im dunklen Corona-November? Sicher, meine Oma würde sich im Grab umdrehen, wenn sie wüsste, dass wir heute Milchbrot kaufen und es alt werden lassen, damit man daraus eine Restlmehlspeise machen kann, die man teurer verkauft als ein Stück Malakofftorte. Ich würde meiner Oma aber sagen, dass der Scheiterhaufen dafür nicht so fett ist wie eine Malakofftorte. Das würde meiner Oma mit ihrem zu Lebzeiten beträchtlichen Übergewicht einleuchten. Aber nach kurzem Nachdenken würde sie mich listig anblinzeln und behaupten: Dafür kannst du mehr davon essen. Die Begabung zur schöndenkerischen Logik muss ich von ihr geerbt haben. Das geht aber nur so lange gut, bis zum ersten Mal das süße kleine Nachbarskind auf die angeschwollenen Fettreserven deutet und begeistert ruft: "Mama! Hexe!"

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 20. 11. 2020)

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