Bianca Jagger: "So wenig Zeit und so viel zu tun"

Bianca Jagger wenig Zeit
Bianca Jagger wenig Zeit(c) EPA (MARTIAL TREZZINI)
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Die ehemalige Glamour-Queen Bianca Jagger erzählt von ihren politischen Wurzeln in Nicaragua unter Diktator Somoza, dem Irrtum ihrer Heirat mit dem Sänger der Rolling Stones und vom Vorteil eines berühmten Namens.

Sie wurden weltberühmt als Ehefrau des Rocksängers Mick Jagger. Was hat Sie zu einer Kämpferin für Menschenrechte und Umweltschutz gemacht?

Bianca Jagger: Ich wurde in Nicaragua geboren und verbrachte meine Kindheit unter der Diktatur Somozas. Meine Mutter, eine Hausfrau mit drei Kindern, war keine Politikerin, aber sie war politisch sehr interessiert. Was ich bin und wofür ich kämpfe, verdanke ich in vielerlei Hinsicht den Prinzipien und der Philosophie meiner Mutter.

Was haben Sie von Ihrer Mutter gelernt?

Sie machte mich darauf aufmerksam, was es heißt, ohne Demokratie und Meinungsfreiheit zu leben. Von ihr lernte ich die Liebe zu den Regenwäldern und zur Natur. Und bei ihr sah ich, wie Frauen diskriminiert werden.


Warum wurde Ihre Mutter diskriminiert?

Sie ließ sich in den 60er-Jahren scheiden und musste arbeiten gehen. Das reichte, um in einem katholischen Land wie Nicaragua diskriminiert zu werden.


Ist sie noch am Leben?

Leider starb sie vor vier Jahren. An einer schrecklichen Motoneuronenerkrankung.


Sind Sie oder Ihre Familie unter Diktator Somoza politisch verfolgt worden?

Ich beteiligte mich als Studentin an Demonstrationen. Und deswegen entschloss ich mich auch, Politikwissenschaft zu studieren und ein Stipendium in Paris anzunehmen. Es wundert mich immer, dass die Leute nicht begreifen, dass ich bereits vor meiner Ehe ein Leben hatte und politisch aktiv war.

Wollten Sie Politikerin werden?

Ja, Politikerin oder Diplomatin. Ich wollte etwas verändern in meinem Land.


Sie versuchen noch immer, Dinge zu verändern. Doch Politikerin wurden Sie nie. Warum?

Weil ich nicht überzeugt bin, dass ich als Politikerin effektiver sein könnte als als Menschenrechtsaktivistin oder Autorin. Ich bin auch nicht bereit, bestimmte Kompromisse einzugehen.


Haben Sie Ihr Studium in Paris beendet?

Nein, habe ich nicht.


Sie waren vor und nach Mick Jagger ein politischer Mensch. Es hat fast den Eindruck, als passe diese Ehe nicht zum Rest Ihres Lebens.

Liebe ist nicht rational. An einem bestimmten Punkt meines Lebens wurde mir klar, dass diese Ehe vielleicht nicht die richtige Wahl gewesen ist. Ich ging weiter und zurück zu dem Weg, der für mich richtig war.

Wo haben Sie Mick Jagger kennengelernt?

In Paris, als ich studierte, und dann waren wir neun Jahre verheiratet. Aber wissen Sie, ich rede nicht gerne darüber.

Wie wichtig ist es für Ihre Arbeit, dass Sie diesen Familiennamen nach wie vor tragen?

In Nicaragua behält man seinen ehelichen Namen bis zur Wiederverheiratung. Wie auch immer: Ein berühmter Name kann Türen öffnen. Aber wenn Sie nichts anzubieten und nichts zu sagen haben, schließen sich diese Türen sehr schnell wieder und Sie werden nie wieder eingeladen. Einen bekannten Namen zu tragen kann Vorteile und Nachteile haben. Ich setze mich seit 30 Jahren für Menschenrechte und Umweltschutz ein. Es brauchte Zeit und viel Arbeit, bis ich etablieren konnte, wofür ich stehe und was ich bin. Das ist kein einfacher Weg für eine Frau. Sie hätten diese Frage einem Mann, der mit einer berühmten Frau verheiratet war, nie gestellt.


Wann setzten Sie sich zum ersten Mal für Menschenrechte ein?

1972. Und es veränderte mein Leben. 10.000 Menschen starben bei einem Erdbeben in Nicaragua. Ich überredete meinen Exmann und die Rolling Stones, ein Konzert zu geben. Mit dem Geld wollte ich eine kleine Kinderklinik in Nicaragua aufbauen. Das öffnete mir die Augen, ich sah die Armut, die Unterdrückung. 1979, im Jahr meiner Scheidung, bat mich das Rote Kreuz, Gefängnisse in Nicaragua zu besuchen. Das war auch eine wichtige Erfahrung für mich. Der Wendepunkt in meinem Leben war jedoch zwei Jahre später, als ich gefragt wurde, ob ich an einer Fact Finding Mission des US-Kongresses in Honduras teilnehmen würde.


Erzählen Sie bitte.

Als wir ein honduranisches UN-Camp für Flüchtlinge aus El Salvador besuchten, drang eine Todesschwadron ein und entführte 40 Flüchtlinge. Wir entschieden uns, sie zu verfolgen. Mütter, Töchter, Kinder rannten schreiend hinter uns her. Einige von uns hatten Kameras. Nach einer halben Stunde machten die Entführer plötzlich halt und richteten ihre Gewehre auf uns. Wir sagten: „Ihr müsst uns alle töten.“ Und da ließen sie alle Geiseln frei. Ich begriff, wie wichtig es ist, Zeuge zu sein. Sie dachten, ich sei Ausländerin, Amerikanerin. Und deshalb überlegten sie zweimal, bevor sie uns töteten.

Sie riskierten Ihr Leben.

Dieses Risiko muss man eingehen. Ich hoffe immer auf einen Schutzengel. Honduras war nur der Anfang. Danach führten mich Missionen an viele gefährliche Orte in Lateinamerika, nach Bosnien, Kosovo, Irak, Afghanistan.

Sie engagieren sich für sehr vieles, zuletzt gegen die Steinigung der Iranerin Ashtiani. Fühlen Sie sich nicht überfordert?

Manchmal fühle ich mich sowohl psychisch als auch physisch überfordert. Es gibt so wenig Zeit und so viel zu tun. Und ich habe mich immer auch als Stimme der Menschen in Entwicklungsländern empfunden.


Haben Sie eine Art persönliche Prioritätenliste? Was ist für Sie das brennendste Problem?

Die größte Herausforderung für die Menschheit ist der Klimawandel. Das ist nicht nur eine Umweltschutzfrage, sondern eine Frage der sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit, eine Menschenrechtsfrage. Diese Themen sind ja miteinander verknüpft.

Sind Sie jemals in die Irre geführt worden. Hätten Sie zum Beispiel die Gaza-Hilfsflotilla unterstützt, die von Radikalen instrumentalisiert wurde?

Ich nahm nicht daran teil und kenne die genauen Umstände nicht, aber ich weiß, dass das unabhängig untersucht werden muss. Bevor ich mich engagiere, überlege ich sorgfältig. Zu meinem Engagement für die Wiedereröffnung des Kinos in Jenin im palästinensischen Westjordanland etwa hat mich ein bemerkenswerter Mann names Ismail Khatib inspiriert. Sein elfjähriger Sohn wurde von einem israelischen Soldaten erschossen, als er mit einem Plastikgewehr spielte. Anstatt Rache zu üben, spendete er die Organe seines Buben israelischen Kindern. Marcus Vetter aus Deutschland drehte einen wunderbaren Dokumentarfilm darüber, „Das Herz von Jenin“. Im Zuge dessen kam er auf die Idee, das Kino in Jenin zu renovieren. Ich unterstützte ihn, fuhr zur Eröffnung dieses kulturellen Projekts für Frieden und Versöhnung.

Gute Ärzte lassen sich nicht allzu tief emotional verstricken. Sie brauchen einen kühlen Kopf. Wie ist das bei Ihnen?

Man braucht beides. Berührend und überzeugend kann man nur sein, wenn man selbst zutiefst bewegt ist.


Was berührt Sie?

Ungerechtigkeit berührt mich. Der Umstand, dass eine Frau wegen ihres Geschlechts benachteiligt wird. Wenn ich eine Frau sehe, die gesteinigt werden soll. Und ich denke an die Hinrichtung von Gary Graham, einem unschuldigen Mann, der sterben musste, weil er schwarz und arm war und sich keinen Anwalt leisten konnte.

Sie sahen seine Hinrichtung in Texas.

Gary Graham bat mich, bei der Hinrichtung dabei zu sein. Er hielt eine leidenschaftliche Rede vor seiner Hinrichtung. Sie gaben ihm das Recht, ein paar Worte zu sagen, doch da leiteten sie schon die tödlichen Substanzen in seine Venen ein. Er hörte mitten im Satz auf zu sprechen. Er konnte nicht zu Ende sagen, was er sagen wollte. Linda Cartney kann jeden Moment hingerichtet werden. Ich glaube, sie ist unschuldig. Natürlich muss man objektiv bleiben und alle Fakten kennen. Vor allem, wenn man Bianca Jagger heißt. Als Celebrity muss man sogar noch besser Bescheid wissen.


Waren Sie nie in Gefahr, zynisch zu werden?

Ich bin keine zynische Natur. Habe ich je gefühlt, falsch zu liegen? Natürlich! Ein Narr, wer glaubt, immer recht zu haben. Aber ich habe mich nie geschämt, andere um Rat zu fragen, die sich besser auskennen als ich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2010)

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