Randerscheinung

Ein Abend mit Maradona

Carolina Frank
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Die Buben wollten zuerst nicht die Maradona-Doku ansehen, weil ihnen Maradona nicht wirklich etwas sagt. Aber dann schauten bis zum Schluss zu und legten sogar hie und da das Handy zur Seite.

Am Abend des Tages, an dem Maradona gestorben ist, haben wir uns also diese Maradona-Doku angeschaut. Der Film ist ein Jahr alt und von dem Regisseur, der die Oscar-prämierte Amy-Winehouse-Doku machte. Man hätte das also auch anschauen können, wenn er nicht gestorben wäre. Die Buben wollen zuerst nicht, weil ihnen Maradona nicht wirklich etwas sagt, aber als sie merken, dass es mir irgendwie wichtig ist, schauen wir gemeinsam. Ich habe von Maradonas Tod nach meiner Abendrunde mit dem Hund erfahren.

Die Nachricht war mir auf eine unerwartete Art nicht egal. Maradona hat Fußball gespielt, als auch ich den ganzen Tag mit einem Ball herumgetan habe. Deutsche Fußballer waren damals umgebaute Zehnkämpfer, italienische Fußballer spielverderbende Remis- oder 1:0-Lieferanten, Engländer eben Engländer, und die Brasilianer haben zwar oft den Ball, aber nie ein Spiel gewonnen. Maradona dagegen war begnadet, verschwenderisch, entgrenzt und machte aus einer Partie durch seine bloße Teilnahme etwas Magisches. In der Doku sehen wir, wie der Argentinier das Schicksal von  Neapel und Argentinien schultert. Einer Stadt und eines Staats, die am Boden sind, Bedeutung, Freude und Stolz zurückbringt. Dieser unmenschlichen Erwartung im Stadion stets standhält, aber in seinem Leben an ihr zerbricht. Wie viel Zeit seither vergangen ist, sieht man daran, dass Stadien bis auf den letzten Stehplatz vollgestopft wurden, Beschimpfungen auf Spruchbändern und Feuerwerkskörper zum Normalprogramm gehörten und am Feld gefoult wurde wie beim Rugby. Die Buben schauen bis zum Schluss zu und legen sogar hie und da das Handy zur Seite. Wenn Maradona spielt, funktioniert das nämlich noch immer. Auch an seinem Todestag.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 4. 12. 2020)

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