69. Vierschanzentournee

Kamil Stoch: „Die Luft ist mein zweites Wesen“

Der Pole Kamil Stoch zeigt es vor: Skispringen bietet in Bischofshofen immer besondere Perspektiven.
Der Pole Kamil Stoch zeigt es vor: Skispringen bietet in Bischofshofen immer besondere Perspektiven.(c) APA/AFP/CHRISTOF STACHE
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Die vor dem Auftaktspringen in Oberstdorf 22 Stunden währende Corona-Sperre verlieh Kamil Stoch, 33, den nötigen Schub, zum dritten Gesamtsieg nach 2017 und 2018 zu fliegen. Toni Innauer nennt diese Form der Leichtigkeit das „Dänemark-Syndrom“.

Skispringen ist eine heikle Angelegenheit, selbst für so selbstsicher wirkende Typen wie Tourneesieger Kamil Stoch. Dem Polen, 33, ist pünktlichst zum Auftakt des Schanzenklassikers immer die Metamorphose zum Weitflieger zuzutrauen; so schlecht kann der Athlet aus Zakopane zuvor gar nicht gesprungen sein. Bei der 69. Auflage der Tournee kam jedoch noch ein ganz eigenes Momentum der Befreiung zu seinem einzigartigen Fluggefühl hinzu.

»„Dänemarks Fußballer kamen 1992 aus dem Urlaub, Polens Skispringer waren mit dem Kopf schon daheim.“«

Toni Innauer

In Oberstdorf schien der Traum des dritten Tourneesieges nach 2017 und 2018 für den 1,73 Meter großen, mit 53 Kilogramm jedoch sehr leichten Springer schon vorbei. Ein falsch-positiver Corona-Test eines Teamkollegen führte zu einer 22 Stunden währenden Aussperrung der gesamten Mannschaft vom Skisprung-Zirkus. Deren Aufhebung vor dem Auftaktspringen wirkte auf Polens Team, besonders auf Stoch, analysiert Skisprung-Mastermind Toni Innauer, wie ein doppelter Schub. Innauer sprach vom „Dänemark-Syndrom“, in Anspielung auf die Fußballer, die 1992 aus dem Urlaub kommend sensationell die EM (2:0 im Finale gegen Deutschland) gewannen. „Auch die Skispringer waren weg, mit dem Kopf längst zu Hause. Dann durften sie doch starten. Dadurch entstand eine Leichtigkeit, die künstlich nicht generierbar ist.“

In einer ganz elitären Schanzen-Schicht

Also begannen sich Titelverteidiger Dawid Kubacki und Stoch zu „matchen“. Besserer Absprung, Haltungsnoten, Weiten – wer habe den besseren Musik-Geschmack, die schöneren Ski. Spaß dominierte fortan im Team, dem mit Adam Malysz ein ehemaliger Skisprung-Superstar als Sportdirektor vorsteht. Er blockte rund um Corona, Sperren und anhebende Erfolge alle (lästigen) Fragen gekonnt ab.

SKI JUMPING - FIS WC Bischofshofen
SKI JUMPING - FIS WC BischofshofenGEPA pictures

Stoch stand im Alter von drei Jahren erstmals auf Skiern, wagte als Neunjähriger die ersten Sprünge – und tauchte 1999 erstmals im Schüler-Weltcup in Garmisch-Partenkirchen auf. Er meisterte die Sportschule, studierte in Krakau an der Sportuniversität – und wurde einer der erfolgreichsten Skispringer. Nur er, Espen Bredesen, Thomas Morgenstern, Nykänen und Jens Weißflog haben WM, Olympiagold, Gesamtweltcup und Tournee gewonnen. Stoch, seit 2005 im Weltcup unterwegs, triumphierte 2017 zudem auch auf allen vier Tournee-Stationen.

„Luft ist mein zweites Wesen“, skizziert sich Stoch selbst, der schnelle Autos und Musik mag, Managerin Ewa 2010 geheiratet hat und pro Jahr, schätzen polnische Medien, eine Million Euro (Preisgelder, Sponsoren, Ausrüster) verdienen soll. Und Polens populärster Athlet nach Bayern-Stürmer Robert Lewandowski hat auch sein Mode-Label: Kamiland.

Kamil STOCH (POL), 1.Platz 1st place, Sieger winner. Skispringen, Vierschanzentournee, 69. Internationale Vierschanzento
Kamil STOCH (POL), 1.Platz 1st place, Sieger winner. Skispringen, Vierschanzentournee, 69. Internationale Vierschanzentoimago images/Oryk HAIST

Werbeträger der Luftwaffe

Zwei WM-Goldene und drei Olympiasiege (2014 Groß-, Kleinschanze, Sotschi; 2018 Großschanze Pyeongchang) zeigen, dass der Katholik stets dann bereit ist, abzuheben, wenn wichtige Aufgaben anstehen. Er dient als Werbeträger der polnischen Luftwaffe, vergaß trotz des Ruhmes und Erfolges nie auf seine Wurzeln. Mit seiner Frau gründete der Sieger von 38 Weltcupspringen in Zakopane einen Klub zur Talentförderung.

Stoch wurde Zweiter in Oberstdorf, Vierter in Garmisch-Partenkirchen, siegte in Innsbruck und triumphierte in Bischofshofen mit Sprüngen auf 139 und 140 Meter. Der Olympiasieger gewann den Abschlussbewerb am Mittwoch vor dem Norweger Marius Lindvik, dem Deutschen Karl Geiger und Stefan Kraft. Während Stoch mit großem Vorsprung über seinen nächsten Tournee-Triumph nach 2017 und 2018 jubelte, verpasste Kraft den ersten ÖSV-Podestplatz bei der 69. Tournee um nur 1,4 Punkte.

Der Salzburger war als lediglich Achter auch im Gesamtklassement bester der insgesamt enttäuschenden Österreicher. Seit warten seit 19 Tournee-Springen auf einen Sieg, es ist die zweite Tournee in Serie, bei der kein ÖSV-Adler auf dem Podest stand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2021)

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