Urnengang

Superwahljahr in Bulgarien: Duell der Generäle

Ministerpräsident Bojko Borissow könnte die anstehende Parlamentswahl in Bulgarien gewinnen
Ministerpräsident Bojko Borissow könnte die anstehende Parlamentswahl in Bulgarien gewinnenMAYR Elke / WB
  • Drucken

Bulgarien wählt heuer ein neues Parlament und auch einen neuen Staatschef.

Irgendwann zwischen März und September wählt Bulgarien ein neues Parlament - wann, steht noch allerdings noch nicht fest: Das Mandat der Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Bojko Borissow läuft am 26. März aus. In einer Ausnahmesituation wie der gegenwärtigen Pandemie lässt die Verfassung einen Aufschub der Wahlen bis zu einem halben Jahr zu. Im Herbst muss dann auch ein neuer Staatschef gewählt werden.

Die Parlamentswahlen finden nach monatelangen Protesten gegen die Regierung im vergangenen Jahr statt, die den sofortigen Rücktritt Borissows forderten. Die Regierungsgegner - Anhänger sowohl der oppositionellen Sozialisten als auch bürgerlich-konservativer außerparlamentarischer Kräfte - werfen dem seit 2009 fast durchregierenden Borissow Korruption und Machtmissbrauch vor. Zwar verliert seine GERB-Partei in den Umfragen, die Meinungsforscher sehen sie jedoch wieder als Wahlsieger. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Alpha Research vom Dezember 2020 würden 24,3 Prozent der Befragten für die Mitte-Rechts-Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens), stimmen.

Mit 21,9 Prozent käme die derzeit größte Oppositionskraft, die Bulgarische sozialistische Partei (BSP) auf den zweiten Platz. Borissow und seine konservative Partei gelten als EU-freundlich, während die ehemaligen Kommunisten der BSP als russlandfreundlich betrachtet werden. Borissows Partei ist auf Ebene der EU Teil der EVP-Familie, die Sozialisten Teil der Fraktion der Sozialdemokratischen Parteien.

Schlüsselrolle für Entertainer

Die im Zuge der Regierungsproteste gegründete populistische Formation "Ein Volk" des TV-Entertainers Slawi Trifonow würde laut Umfragen aus dem Stand 10,2 Prozent schaffen und somit als drittstärkste Kraft eine Schlüsselrolle im nächsten Parlament in Sofia spielen. Erst an vierter Stelle folgt die liberale Türkenpartei DPS mit fast konstanten 7,2 Prozent, die sich fast ausschließlich aus den Stimmen der türkischen Minderheit in Bulgarien speist und bisher nahezu immer das Zünglein an der Waage bei der Regierungsbildung in Sofia war. "Demokratisches Bulgarien", eine Splitterpartei der demokratischen Kräfte aus den Nachwendejahren, die die Regierungsproteste im Sommer 2020 ins Rollen gebracht hat, käme laut Umfrage auf 6,1 Prozent der Wählerstimmen.

Ob die während der Proteste gegründete Formation der früheren sozialistischen Abgeordneten Maja Manolowa ins Parlament einzieht, ist unklar - ihre Bürgerbewegung "Stehe auf" kommt in den Umfragen auf 4,9 Prozent und verfehlt somit knapp die Fünfprozenthürde. Ebenfalls unter 5 Prozent liegen derzeit die jetzigen Koalitionspartner der GERB, die nationalistischen "Vereinigten Patrioten".

Angesichts dieser Zahlen erwarten Politologen und Soziologen in Bulgarien ein zersplittertes Parlament sowie eine äußerst schwierige Regierungsbildung nach den Wahlen und schließen daher Neuwahlen noch in diesem Jahr nicht aus. "Es wird keinen eindeutigen Wahlsieger geben. Außerdem sind Koalitionen im sich abzeichnenden Parlament wegen der großen Unterschiede in den Wertvorstellungen der Parteien schwer vorstellbar", meint die Meinungsforscherin Genowewa Petrowa. Wie verzwickt die Lage ist, zeigt auch die erwartete niedrige Wahlbeteiligung. Laut Angaben des Meinungsforschungsinstituts Alpha Research wollen mehr als 22 Prozent der Befragten nicht wählen gehen. Weitere 28 Prozent sind noch unentschlossen. "Der Wunsch nach Veränderung und die Regierungsproteste allein reichen als Motivation nicht aus, um die Urnen zu stürmen, wie wir aus der jüngsten Vergangenheit Bulgariens wissen. 2013 gab es noch größere Proteste, die Wahlbeteiligung ist danach jedoch nicht gestiegen und bei den üblichen 42 Prozent geblieben", erinnert die Politikwissenschaftlerin Tatjana Burudschiewa.

df

Als eine weitere Unbekannte in der politischen Gleichung in Bulgarien muss man auch die Corona-Pandemie hinzurechnen. "Zu Beginn der Pandemie hatte Regierungschef Borissow einen ausgesprochen hohen Zuspruch von bis zu 60 Prozent", erinnert der angesehene Soziologe Andrej Rajtschew. In der ersten Corona-Welle verhängte das Kabinett einen strengen Lockdown und die Infiziertenzahlen blieben im europäischen Vergleich niedrig. Weniger die Lockerungen und die anschließende Wucht der zweiten Pandemiewelle im Herbst als viel mehr die Antikorruptionsproteste gegen die Regierung hätten den Regierenden einen deutlichen Vertrauensverlust eingebracht, betont der Soziologe. Dennoch erwartet Rajtschew, dass die GERB-Partei mit ihren jetzigen nationalpopulistischen Koalitionspartnern gemeinsam in die Wahlen einziehen und den Sieg davon tragen werden. "Die Frage ist, wer sich noch dazugesellt, um eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament bilden zu können", kommentiert Rajtschew.

Er, wie auch andere Politikwissenschaftler, erwartet nicht, dass die Protestbewegung um die ehemalige sozialistische Abgeordnete Maja Manolowa für Borissow gefährlich werden könnte. Viel mehr werde das der beliebte Fernsehmoderator und Entertainer Slawi Trifonow. Seine Partei "Ein Volk" ist die große Unbekannte, soweit sie kein Parteiprogramm zu wichtigen Fragen vorgestellt hat, wie Gesundheit, Soziales und Wirtschaft. "Das einzige erklärte Ziel dieser Formation ist, ein Referendum über die Reduzierung der Parlamentssitze und der Parteienfinanzierung sowie die Einführung der Mehrheitswahl und der Wahlpflicht durchführen zu lassen", kommentierte der Politologe Stojtscho Stojtschew. Ein solches Referendum auf Initiative von Trifonow fand 2016 statt, wurde allerdings von der Zentralen Wahlkommission wegen unzureichender Beteiligung nicht anerkannt. Die populistischen Botschaften und das Versteckspiel dieser Formation verleihen ihr ein rätselhaftes Image, was dazu führen werde, dass sie viele enttäuschte Wählerstimmen im ärmsten und korruptesten EU-Land einfangen werde, kommentieren die politischen Beobachter in Bulgarien.

Unklar ist auch, ob die EU-freundliche, wirtschaftsliberale Türkenpartei DPS bereit sein wird, eine Regierungskoalition einzugehen. "Nicht um jeden Preis", betonte der Parteivize Jordan Zonew in einem Interview gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Bulgarischen Rundfunk BNR. Er bemängelt wertebasierte Koalitionsabsichten der größten Parteien im Land. "Die Partei hat den internen Machtkampf überwunden und geht gestärkt in die Parlamentswahl", betont der Soziologe Andrej Rajtschew.

Machtkampf zwischen starken Männern

Die Regierungsproteste haben zwar ihr Ziel, Neuwahlen herbeizuführen, verfehlt, aber die Erneuerung in den Reihen der regierenden GERB-Partei angestoßen. Auch dort laufen Spaltungsprozesse - der frühere Vizepremier und Vize-Parteichef Zwetan Zwetanow wurde nach einer Korruptionsaffäre aus der Partei gejagt. Nun zieht er mit einer neu gegründeten rechtskonservativen Partei "Die Republikaner" in die Wahlen, allerdings ohne Aussichten auf den Sprung ins Parlament. "Ministerpräsident und Parteichef Borissow hat mehrmals angedeutet, dass er sich aus den Regierungsgeschäften zurückziehen will", merkt der Politikwissenschaftler Georgi Kirjakow an.

Borissow hatte noch vor Jahren erklärt, nach dieser Legislaturperiode das höchste Amt im Land, das Präsidentenamt, anzustreben. Im Herbst stehen in Bulgarien auch Präsidentschaftswahlen an, wo es durchaus zu einem Duell der Generäle kommen könnte - zwischen dem Ministerpräsidenten und General-Leutenant der Polizei Bojko Borissow und dem General-Major a.D. der Luftstreitkräfte und amtierenden Staatschef Rumen Radew.

"Ohne die Unterstützung der Sozialisten ist ein zweites Mandat für Radew kaum vorstellbar, auch wenn er derzeit das höchste Vertrauen in Bulgarien genießt", ist der Politologe Kirjakow überzeugt. Vor fünf Jahren hievte die sozialistische Partei Radew in das höchste politische Amt, als überparteilicher Präsident emanzipierte er sich aber von den Sozialisten. Als scharfer Kritiker der Borissow-Regierung, der er "Verbindungen mit Oligarchen" vorwirft, führt Radew seit seiner Wahl einen erbitterten Machtkampf gegen den Regierungschef, der seinen Höhepunkt während der Antikorruptionsproteste im Sommer 2020 fand, als sich der Präsident klar auf die Seite der Demonstranten gestellt hat. "Ich verstehe eure Wut, nach all den Jahren der Lügen und Korruption. Das ist ein Kampf für unsere Würde, für unsere Kinder, für unsere Zukunft. Ein Kampf für ein faires, modernes und europäisches Bulgarien", hatte der Präsident mit hochgestreckter geballter Faust den Protestierenden zugerufen.

Dieser Machtkampf zwischen den zwei "starken Männern Bulgariens" wird seit Jahren mit harten Bandagen geführt. Zuletzt waren etwa Fotos aufgetaucht, die angeblich aus Borissows Schlafzimmer stammen. Darauf sind neben einer Pistole auf dem Nachttisch auch Bündel von 500-Euro-Scheinen und kleine Goldbarren zu sehen. Borissow sprach von bearbeiteten Bildern und vermutet Präsident Radew dahinter. Damit solle nur sein Plan, Bulgarien in die Euro-Zone zu führen, zum Scheitern gebracht werden, so der Regierungschef. Der Präsident wies diese Beschuldigungen von sich. Die Staatsanwaltschaft in Sofia beendete die Ermittlungen mit der Begründung, es ließe sich nicht nachweisen, wer die Bilder gemacht habe. Die Ermittler stellten jedoch fest, dass die Fotos bearbeitet worden seien.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.