Atommüll: „Deckel drauf und gut ist?“

Die EU hat Österreich abgemahnt, weil kein nationales Programm für die Entsorgung radioaktiver Abfälle vorliegt. Doch inwieweit ist ein solches hierzulande überhaupt notwendig, etwa für radioaktives Material aus dem Forschungsbereich?

Von Valerie Heine

Im Jahr 2016 wurden gegen sechs EU-Mitgliedstaaten – darunter Österreich – Vertragsverletzungsverfahren wegen verspäteter, nicht transparenter oder unvollständiger Umsetzung der Atommüll-Richtlinie der EU eingeleitet. Nachdem Österreich im November 2020 weiterhin säumig in der Umsetzung war, folgte ein weiteres Abmahnungsschreiben aus Brüssel. Laut Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogramms handelt es sich um mehrere Tausend Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiven Mülls aus Medizin und Forschung, der laut Plan bis zu 300 Jahre zu lagern ist. Ein scheinbar geringer Anteil im Vergleich zu Ländern wie Frankreich, in denen Lager mit bis zu 240.000 Jahren Standsicherheit gesucht werden. Für diese Zeitspanne droht nämlich im Falle eines Lagerungsfehlers von hochradioaktivem Abfall aus Kernkraftwerken eine Verstrahlung der Umwelt. Reinhard Uhrig von Global 2000 erklärt im Interview mit der „Presse“, warum auch Österreich als Anti-Atomkraft-Nation Verantwortung trägt.

Die Presse: Wie sieht der längerfristige Plan für die weltweite Endlagerung von Atommüll aus? Gibt es einen solchen überhaupt?

Reinhard Uhrig: Am weitesten in den technischen Bemühungen ist derzeit Finnland mit dem Projekt des Atommüll-Endlagers Onkalo am Reaktor-Standort Olkiluoto, das nach mehreren Verzögerungen in den nächsten Jahren fertiggestellt sein soll. Dort soll in Kupferkanistern unterirdisch Atommüll eingelagert werden. Probleme für die lange Standzeit sind hierbei die Geologie, die Möglichkeit von Plattentektonik, das Eindringen von Wasser und auch die Korrosion der Kupferkanister, die bei einem vergleichbaren Projekt in Schweden festgestellt wurde. Ein guter Film zu diesem Projekt ist „Into Eternity“, der die Erbauer des Lagers zu Wort kommen lässt – die mit der Reflexion immer unsicherer werden über die dauerhafte Sicherheit bzw. auch über die Möglichkeiten, künftige Generationen einerseits vor dem Müll zu warnen, andererseits nicht eine Attraktion für Terroristen zu schaffen.

Atomenergie hinterlässt Spuren – wohin mit dem radioaktiven Abfall?
Atomenergie hinterlässt Spuren – wohin mit dem radioaktiven Abfall?© Dan Meyers/Unsplash

Wie realistisch ist die Gefahr von Endlagern in Grenznähe?

Leider über wasserführende Schichten sehr realistisch. Ein Muster-Katastrophen-Beispiel hierzu ist das deutsche Lager Asse II, in dem seit den 1960er-Jahren schwach- und mittelradioaktiver Müll zunehmend unkontrolliert eingelagert wurde und in dem 1988 erstmals der Einbruch von Salzlauge bemerkt wurde: 126.000 Fässer, teilweise falsch deklariert, mit einer Gesamt-Plutonium-Menge von rund 28 Kilogramm – Mikrogramm sind bereits krebserregend – liegen hier in der Lauge und müssen an die Oberfläche zurückgeholt werden, weil sie sonst die Grundwasserschichten weiträumig belasten könnten. Da aufgrund des Wassereinbruchs aber der Salzstock einzustürzen droht, gibt es noch kein Konzept für diese Rückholung.

Das Endlager Cigéo in Lothringen, Frankreich, soll 2030 in Betrieb genommen werden. Was geschieht mit den restlichen Tonnen 97 Prozent radioaktiven Abfalls aus der französischen Atomenergie, die dort nicht untergebracht werden können?

In Frankreich gibt es noch das Centre de stockage de La Manche. Es hält 520.000 Kubikmeter (Anm.: Das entspricht in etwa einem Würfel mit einer Kantenlänge von 80 Metern) hochradioaktiven Müll aus Wiederaufbereitung und AKW. Eine Untersuchungskommission stellte in den 1990er-Jahren fest, dass nicht nur niedrigradioaktiver Müll eingelagert wurde. 2006 wurde entdeckt, dass kontaminiertes Wasser in einen unterirdischen Aquifer (Anm.: Grundwasserleiter) austritt. Auch am Standort der Wiederaufbereitungsanlage La Hague befindet sich ein Zwischenlager für hochradioaktiven Müll.

Wie sähe aus Ihrer Sicht der richtige Umgang mit radioaktivem Abfall aus, und welche Maßnahmen trifft Global 2000, um diesen zu erreichen?

Fakt ist: Die Menschheit hat durch den dummen Irrweg Atomkraft um die 250.000 Tonnen hochradioaktiven Müll erzeugt, der dauerhaft für mindestens 240.000 Jahre sicher von Menschen, Tieren und Pflanzen ferngehalten werden muss. Diese Aufgabe wird also viele Generationen beschäftigen und zig Milliarden Euro verschlingen. Das früher propagierte Konzept „Deckel drauf und gut ist“, ist offenkundig gescheitert. Für die langen Standzeiten muss kontinuierliches Monitoring – zum Beispiel auf Wassereinbrüche und geologische Prozesse – erfolgen und dann die Rückholbarkeit gewährleistet werden. Das Konzept der sogenannten rolling stewardships ist hier sinnvoller: Gemeinden bekommen wie bei Sondermülldeponien die Aufgabe – und Honorierung –, auf diese hochgefährlichen Hinterlassenschaften aufzupassen, für immer. Von Atombefürwortern gern angeführte Konzepte zur Umwandlung von Atommüll (Anm.: in unschädliche oder wiederverwendbare Stoffe) stehen bereits seit Jahrzehnten in der Diskussion und sind stets gescheitert. Die sogenannte Transmutation ist mit riesigem technischen und finanziellen Aufwand zwar möglich, erzeugt jedoch sehr große Mengen ebenfalls problematischer Spaltprodukte, die zwar etwas weniger lange Halbwertszeiten haben, aber dennoch wesentlich mobiler und damit gefährlicher wären – also auch keine Lösung, nur eine Nebelgranate. Global 2000 bringt sich aktiv in die Atommüll-Diskussion in Österreich ein und drängt auf eine progressive Lösung für Österreich. Wir sind froh, dass nach langen Verzögerungen jetzt eine Expertenkommission durch das zuständige Ministerium eingesetzt werden soll. Weiters sind wir vernetzt mit den Protesten gegen falsche Endlagerkonzepte und haben zum Beispiel an den Protesten im deutschen Gorleben teilgenommen, aber auch mit unseren tschechischen Kollegen gegen die unverantwortlichen Pläne der derzeitigen Regierung protestiert, uns an den Bürgerbeteiligungsverfahren beteiligt und der Öffentlichkeit Stellungnahmen zur Verfügung gestellt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Grüne Energie

Wie grün ist Atomenergie wirklich?

Während die Atomenergie in Österreich kaum mehr Thema ist, betreiben Länder wie Frankreich und Schweden seit Jahren Atomkraftwerke und konnten durch deren Ausbau ihren CO2-Ausstoß deutlich senken. Könnte Atomenergie im Kampf gegen die Klimakrise also helfen? Kann sie gar als grüne Energie eingestuft werden?
Strahlentherapie

Die Sonnenseite der Strahlung: Kernenergie in der Medizin

Die moderne Medizin ist ohne den Einsatz von atomarer Strahlung nicht denkbar. Sowohl in der Diagnostik als auch in der Behandlung kommt Kernenergie auf vielfältige Art zum Einsatz. Noch immer hat sie bei vielen Patienten einen schlechten Ruf. Experten erklären, warum dieser nicht gerechtfertigt ist.
Atomprotest

Eine kurze Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung in Österreich

Mit dem Widerstand gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf begann in Österreich eine beispiellose Bewegung des zivilen Ungehorsams, die über die Grenzen hinausreichte: Eine Aktivistin erinnert sich.
Ausdemonstriert?

Wer denkt heute noch an Atomprotest?

Die Anti-Atom-Bewegung in Österreich stirbt aus. Sagt wer? Die Alten. Haben sie recht? Porträt einer der erfolgreichsten sozialen Bewegungen Österreichs.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.