Country

Zwischen Kapitol und Honky Tonk

Ian Fisher beim Freiluft-Interview in Schönbrunn
Ian Fisher beim Freiluft-Interview in Schönbrunn(c) Caio Kauffmann
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In den USA liege ein Gefühl der Absurdität in der Luft, sagt Exil-Singer-Songwriter Ian Fisher. Warum sein neues Album „American Standards“ nach einem Sanitärausstatter benannt ist - und sein neues Video, das hier erstmals zu sehen ist, im Wiener Stadtpark statt in Nashville spielt.

Schnee knirscht unter den Füßen, Flocken fliegen einem ins Gesicht, zwischendurch reißen über Schloss Schönbrunn die Wolken auf, und die Sonne bestrahlt es vom blauen Himmel. Das amerikanische Kapitol ist hier weit weg. Nicht so weit allerdings, dass Ian Fisher nicht noch eine stattliche Anzahl an Schimpfwörtern einfallen würde, wenn er über die Politik in seiner Heimat spricht.

Manche seiner Landsleute, sagt Fisher, hätten erst jetzt entdeckt, dass es so etwas wie Politik gibt. „Nachdem sie sich ihr ganzes Leben nicht dafür interessiert haben, sind sie eines Tages aufgewacht und haben irgendwas auf Facebook gelesen.“ Wobei es ihn nicht einmal wundert, dass Verschwörungstheorien so florieren. „Der Klimawandel oder extreme Klassenunterschiede existieren – natürlich negiert man das lieber, als es zu akzeptieren.“ Es liege ein Gefühl der Absurdität in der Luft, „und die Leute reagieren, indem sie absurde Dinge glauben“.

Auch, dass das Interview mit dem Singer-Songwriter als Freiluft-Spaziergang stattfinden muss, ist nicht normal. Gäbe es im echten Leben zu so etwas einen Soundtrack, es hätte sich „One Foot“ angeboten. Immer schön einen Fuß vor den anderen setzen, mahnt Fisher in dem von René Mühlberger („Pressyes“) produzierten Lied – um nicht zu straucheln, wie Schauspieler Marcel Mohab im zugehörigen Video im Wiener Stadtpark.

Videopremiere: Ian Fisher - One Foot

Eigentlich hätte das Video zu dem Lied in Nashville gedreht werden sollen. Gemeinsam mit Regisseur Jakob Kubizek wollte Fisher im vergangenen Frühjahr ein paar Wochen durch die USA fahren. Kubizek schaffte es coronabedingt nicht mehr aus Österreich hinaus; Fisher, der früher geflogen war, brach nach drei Tagen seine Zelte ab, weil er Lockdowns lieber in seiner neuen Heimat Europa verbringen will. „Ich musste über Kanada fliegen. Der Kapitän beglückwünschte uns: Das sei der letzte Flug nach Wien.“

Ausgewandert ist der ehemalige Politikstudent, der auf einer Farm in Missouri aufgewachsen ist, einst nicht zuletzt wegen George W. Bush. „Wenn ich heute Interviews mit ihm sehe, denke ich, der ist doch nicht so schlimm.“ So schlimm, sagt Fisher, sei die Lage. Dazu passend heißt sein neues Album denn auch „American Standards“; benannt nach Amerikas verbreitetster Sanitärausstatter-Marke. „Es war Zeit, über die moralischen Standards zu schreiben, an die ich und viele andere zu glauben gelehrt wurden und auf die in den vergangenen vier Jahren geschissen wurde.“ Im witzigen Video zum gleichnamigen Song geht Fisher irgendwo in Amerika von Haus und Haus, verteilt Baseballkappen mit Zitaten aus dem Songtext und wirbt dafür, einfach mal alles die Toilette hinunterzuspülen.

Das war noch, bevor vor zwei Wochen Trumps Anhänger das Kapitol stürmten. Fisher hatte gerade die Anerkennung der Wahlergebnisse verfolgt, als die Übertragung unterbrochen wurde, und er wurde so wütend, dass sich seine Freundin genötigt sah, den Computer abzudrehen. Er hoffe nur, sagt er, dass die Leute, die beim Sturm dabei waren, „so verfolgt werden wie ,Black Lives Matter‘-Demonstranten fürs Niesen oder dafür, zur falschen Zeit am falschen Ort schwarz zu sein“.

Mit Melody bei den Veteranen

Mit Werten und deren Vereinnahmung ringt Fisher auch als Countrymusiker, auch wenn „American Standards“ musikalisch gesehen europäischer, urbaner geraten sei als seine Vorgänger. „Aber der Inhalt sind immer noch Country- und Folkthemen.“ Man dürfe Country nicht den NRA-Mitgliedern überlassen, findet er.

In seinen Songs geht ums Aufwachsen und Wegziehen, um die Frage, was Heimat ist und Liebe sein könnte. Und Fisher nimmt einen auch mit nach Nashville. In die Legion Hall an der Gallatin Pike, wo sich zwischen Autovermietung und Schnellrestaurants Veteranen und „Pseudo-Cowboy-Hipster wie ich“ zum Honky Tonk Tuesday treffen und wo ein Mädchen tanzt, das tatsächlich den Namen Melody trägt. Und er singt über die Geister der Country Music, die, wenn die Lichter gelöscht und die Gäste nach Hause gegangen sind, im Ryman Auditorium spielen.

Von den 300 Songs, die Vielschreiber Fisher in der Auswahl hatte, sind es letztlich zehn geworden. Darunter auch „Be Thankful“. Eines der friedlichsten und erwachsensten Lieder, die er je geschrieben habe, das ihn selbst daran erinnern soll, „dass es trotz all dessen, was mich und andere gerade verrückt macht, immer noch Dinge gibt, für die wir dankbar sein sollten.“ Und sei es dafür, dass FM4 zu seiner Überraschung ausgerechnet dieses Lied auf Heavy Rotation gesetzt hat.

Zur Person

Ian Fisher (32) wuchs in Ste. Genevieve in Missouri auf und kam 2008 zum Politikwissenschaftsstudium nach Wien. Er glaubt, dass Country Music kein Land braucht und weigert sich, sie den NRA-Mitgliedern zu überlassen. In Wien begleitete er zuletzt im Theater in der Josefstadt Tschechows „Kirschgarten“ mit Songs. Nach „Idle Hands“ ist „American Standards“ sein 14. Album. Es erscheint am 19. Februar.

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