Filmfest Venedig: Die Nacht der eingenähten Messer

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"Machete" von Robert Rodriguez politisiert das Actionkino. Der Film ist eine Kampfansage an das sterile, entpolitisierte Kino Hollywoods. Der Wettbewerb kommt in Fahrt, etwa mit Vincent Gallo als gejagtem Taliban.

"Machete don't text!“ Die SMS-Verweigerungsansage des Titelhelden im Actionfilm Machete von Robert Rodriguez ist auf einem Filmfestival doppelt entzückend: wie eine Kampfansage gegen die immer häufiger werdende Störung durch ungeduldige Kinogänger, die auf die Uhr ihres Handys sehen oder gar beginnen, ihre Textnachrichten zu beantworten. Der Film ist aber auch eine Kampfansage an das sterile, entpolitisierte Kino, das dieser Tage Hollywood dominiert. Der Enthusiasmus von Rodriguez und Ko-Regisseur Ethan Maniquis griff prompt auf das Publikum über: Der in der Mitternachtsschiene von Venedig vorgestellte Film – in Österreich soll er im November anlaufen – hat die größte Jubelkundgebung der Kinomostra am Lido ausgelöst: Insbesondere der narbengesichtige Hauptdarsteller Danny Trejo wurde gefeiert. Er dankte es den Besuchern der Gala, indem er ganz im Stile seiner Figur das mit eingenähten Messern gespickte Sakko öffnete und die tätowierte Brust präsentierte.

Trejos Actionheld marschiert ungerührt durch eine Handlung, deren politische Stoßrichtung mindestens so frech ist wie die genussvoll servierte Cartoon-Action. Rodriguez rührt einen sexy Mexiko-Mix mit Messerstechereien, Chilischoten, Latino-Rock und Revolutionsromantik an, das spielfreudige Darstellerensemble ist auch eine wilde Mischung: Robert De Niro führt als fremdenfeindlicher Politiker eine unbarmherzige Kampagne gegen Chicano-Einwanderer, Don Johnson als Selbstjustiz-Sheriff und Actiontrash-Ikone Steven Seagal als böser mexikanischer Drogenboss werden ebenso in die Affäre verwickelt wie Michelle Rodriguez und Jessica Alba. Dazu gibt sich Lindsay Lohan als Millionärstochter Drogenexzessen hin, die verdächtig an ihr skandalumwittertes Privatleben erinnern. Macheteist alles andere als subtil, aber als satirisches Gesellschaftsbild genauso schwungvoll wie als knallig revitalisierter B-Film.

Österreicher Pirker, Tscherkassky

In den Wettbewerb durfte der Film von Rodriguez wohl schon deshalb nicht, weil sein Busenfreund Tarantino die Jury leitet. Die hat auch so genug zu tun: Die Konkurrenz ist nach schwächelndem Start mit Belanglosigkeiten wie Sofia Coppolas selbstmitleidiger Hollywoodstar-Tragikomödie Somewhere oder plumpem Politkino wie Julian Schnabels Miral endlich in Fahrt gekommen: Hongkongs Actionspezialist Tsui Hark kombiniert in Detective Dee and the Mystery of the Phantom Flame mit Verve Krimihandlung und historisches Fantasyspektakel. Im mythischen Road Movie Silent Souls schickt der Russe Aleksei Fedorchenko zwei Männer mit einer Frauenleiche auf Bestattungsreise und lässt sie in bildgewaltigen Landschaften ewige Wahrheiten finden.

Der Papierform nach kontroverser ist ein zweiter Landschaftsfilm: InEssential Killingdes polnischen Altmeisters Jerzy Skolimowski spielt Vincent Gallo einen Taliban namens Mohammed, der vom US-Militär in ein geheimes Lager in Europa abtransportiert wird. Doch nach einem Unfall gelingt ihm die Flucht. Die Jagd durch Schneelandschaften reduziert Skolimowski titelgemäß und höchst versiert auf Erfahrungskino: Die politischen Umstände werden in der existenziellen Situation bedeutungslos.

Große Auftritte für Österreich gab es indessen in einer neuen Schiene: Der Zweitbewerb „Orrizonti“ ist um eine Sektion für kurze und mittellange Filme bereichert worden, die ausgesprochen avanciert programmiert ist. So wurde Sasha Pirkers bemerkenswerte Architekturstudie The Future will not be Capitalist über die von Oscar Niemeyer erbaute KP-Zentrale in Paris mit Robinson in Ruins vom britischen Essayisten Patrick Keiller zusammengespannt. Ein österreichischer Experimentalfilmer dominierte indes ein Kurzfilmprogramm: Peter Tscherkassky liefert mit dem verspielten 20-Minüter Coming Attraction eine flotte, technisch brillante und witzige Collage, die dem Attraktionspotenzial des ganz frühen Kinos nachspürt. Verführerische Blickwechsel und absurde Szenenfolgen – eine rätselhafte Einstellung zeigt eine Dame mit Gummihaube, die ein Saxofon präsentiert – formen sich zum ironisch schillernden Inventar filmischer Möglichkeiten: Angesichts der Vielfalt verwundert es dann auch nicht mehr, wenn man da zwischen Verweisen auf Persil und Kinopioniere kaum 24 Stunden nach Machete Robert De Niro wiedersieht – nur um Jahre jünger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2010)

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