Rechnungshof

Wie Saharastaub Schadstoffe unter den Grenzwert drückt

Sandsturm Sahara
Sandsturm Sahara(c) EPA (Stephen Morrison)
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Der Rechnungshof übt Kritik an Bund, Land Steiermark und Stadt Graz, weil die Schadstoffbelastung in der Steiermark hoch ist, insbesondere durch den Straßenverkehr. Zwei der Empfehlungen haken hier ein: Tempolimits und City-Maut seien zu prüfen.

34 Empfehlungen gibt der Rechnungshof (RH) in dem Bericht „Luftverschmutzung durch Verkehr – ausgewählte Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität“ ab, der die Umweltbelastung in der „außeralpinen“ Steiermark (südlich der Mur-Mürz-Furche, mit dem Schwerpunkt auf dem Grazer Becken) in den Jahren 2014 bis 2019 zum Gegenstand hat. Die Prüfer legen der Landesregierung 25 Maßnahmen nahe, das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie sieht sich mit 13 Empfehlungen konfrontiert, die Stadt Graz mit drei.

Der RH räumt zwar ein, dass der Schadstoffausstoß von Stickstoff-Verbindungen und Feinstaub im langfristigen Trend abnehme, stellt aber auch fest, dass beim Feinstaub im Prüfungszeitraum eine Zunahme zu registrieren sei. Bei den Stickstoffen gibt’s eine Abnahme. Aber: An diese Messdaten knüpfen die RH-Prüferinnen einige Fragen grundsätzlicher Natur.

RH empfiehlt Tempolimits

Davon wird gleich später die Rede sein, wenden wir uns erst den Empfehlungen zu. An den Bund richtet der RH die Aufforderung, Tempolimits zu prüfen, die gesetzlichen Grundlagen zu erweitern (insbesondere das Immissionsschutzgesetz Luft) und die Förderpolitik von Elektro- und Hybridautos zu überdenken. Letzteres deshalb, weil E-Autos im Betrieb zwar emissionsfrei seien, aber durch Reifenabrieb und Bremsen zur Feinstaubbelastung beitragen. Außerdem sei die Ausnahme von Tempobeschränkungen auf 100 km/h für E-Autos aus Perspektive der Verkehrssicherheit fragwürdig.

Das Land Steiermark wird vor allem aufgefordert, das steirische Luftreinhalte-Programm „unmissverständlich verbindlich“ in Kraft zu setzen – und dann auch umzusetzen. In der vom RH überprüften Periode ist zwar das Luftreinhalte-Programm 2014 verfasst, aber vom damals zuständigen Umwelt- und Verkehrslandesrat Gerhard Kurzmann (FPÖ) nicht unterschrieben worden. Er hat sich wiederholt als Skeptiker des durch Feinstaub ausgelösten Tempolimits von 100 km/h zu Wort gemeldet. Der Stadt Graz wiederum wird nahegelegt, „verkehrsbeschränkende Maßnahmen“ zu erwägen und sanfte Mobilität (Öffis, Radverkehr) zu forcieren. Die höchste Lenkungswirkung wird dabei einer City Maut zugeschrieben.

Rechnerische Schadstoff-Verringerung

Zu den Messstellen: Mit ihnen haben sich die Prüferinnen eingehend beschäftigt. In der Steiermark gibt es 41, davon sind in Graz sechs über das Stadtgebiet verteilt. Bisher wurde zentrale Bedeutung in der Murmetropole vor allem einer beigemessen: der Station „Don Bosco“, gelegen an einer der bedeutendsten Verkehrstangenten in Graz. Diese Messstelle galt insgesamt als Indikator für die Luftqualität der Stadt – Motto: „Wenn es hier keine Überschreitungen gibt, dann gibt es sie in ganz Graz nicht.“ Nun muss dieses Mantra bezweifelt werden: Denn der Rechnungshof deckt auf, dass die Landesregierung in anderen Stadtteilen Vergleichsmessungen angestellt hat, die höhere Werte gezeigt haben.

Bei tiefer schürfenden Recherchen stellt sich außerdem heraus, dass es bei der Messung Schlupflöcher gibt, auch wenn die Messstationen selbst normkonform sind: Denn Aufwirbelungen durch den Streudienst (Salz und Splitt) können aus den Messergebnissen herausgerechnet werden. Das gilt auch, wenn es Sand aus der Sahara in unsere Breite weht. Durchs Herausrechnen werden die gemessenen Schadstoff-Mengen unter den Grenzwert gedrückt. Für Passanten wird die Luft deshalb nicht gesünder, für die Umweltstatistik schon.

Der Vollständigkeit halber sei ergänzt: Eine „IG-L-Winterstreuverordnung“ regelt seit 2012, wie Salz und Splitt herausgerechnet werden können. Aber auch hier gibt es Interpretationsspielräume. Und für den Sandstaub aus der Sahara werden gerade Kriterien entworfen.

Wer zahlt, wenn Brüssel klagt?

Zurück zum RH-Bericht. Der stellt auch zwei zentrale Forderungen. Einerseits soll auf Bundesebene geregelt werden, wie bei EU-Vertragsverletzungsverfahren sicherzustellen ist, dass bei Strafzahlungen auch jene Gebietskörperschaften zum Handkuss kommen, deren Fehlverhalten zum Verfahren geführt hatten. Bisher ist es so, dass zunächst einmal der Bund in der Pflicht ist.

Die zweite Anregung des Rechnungshofs betrifft das Messnetz. Das sei, Standort um Standort, regelmäßig zu evaluieren. In diesem Punkt ist Österreich säumig, bestehendes EU-Recht ist noch nicht umgesetzt, ein Vertragsverletzungsverfahren ist anhängig. Deshalb ist die Novelle der „Messkonzept-Verordnung“ derzeit in Ausarbeitung. Während die Erläuterungen einen fünfjährigen Rhythmus empfehlen, hat ein solcher seinen Weg in den Verordnungstext selbst noch nicht gefunden.

Wie üblich ist der RH-Bericht zur Kommentierung an Stadt, Land und Umweltministerium geschickt worden. Die Stellungnahmen von Land und Ministerium waren dergestalt, dass sich der Rechnungshof zu einer Rückäußerung bewegt sah, die Einwände also nicht unkommentiert stehen lassen wollte.

"Wir haben die EU-Grenzwerte eingehalten"

Seitens des Ministeriums hat sich Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) zum RH-Bericht selbst, zur Empfehlung, Tempolimits zu erwägen und Luftreinhaltegesetze nachzujustieren, nicht zu Wort gemeldet. Aus dem Kabinett wurde der „Presse“ bloß eine Stellungnahme zugeleitet, mit dem Ersuchen sie als „aus dem Klimaministerium“ zu zitieren: „Es ist wichtig, dass wir einen guten Überblick über den Zustand unserer Luft haben. Gerade in Ballungsräumen und an Autobahnen sehen wir, dass es immer wieder zu Überschreitungen kommt. Darum wurden für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs in Österreich vom Bundesministerium für Klimaschutz Rekordmittel zur Verfügung gestellt.“

Der thematisch zuständige Spitzenbeamte Gerhard Semmelrock, Leiter der Abteilung 15 des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung (Energie, Wohnbau und Technik), gibt sich zurückhaltend. Freilich werde man „die Wahrnehmungen des Rechnungshofes“ thematisieren, sich damit „selbstverständlich eingehend“ auseinandersetzen und alle Empfehlungen prüfen.

Schließlich kommt doch noch ein wenig Kritik durch: „Es ist schade, dass es jetzt so aussieht, als wenn hier gar nichts geschieht“, so Semmelrock zur „Presse“. Das Gegenteil sei der Fall, „bei Winterdienst, Hausbrand, Fernwärme oder im Förderbereich haben wir einiges bewirkt.“ Und übrigens sei der Zeitraum der Prüfung für die Steiermark ungünstig. „2014 war die Schadstoffbelastung witterungsbedingt (milder Winter) besonders niedrig.“ Das ergebe einen etwas anderen Blick auf die Folgejahre (mit höheren Messwerten), meint der Beamte.

"Ich bin dankbar und froh"

Ursula Lackner, für den Umweltbereich zuständige Landesrätin (SPÖ), sagt: „Ich blicke nicht nur auf den Zeitraum, den die RH-Prüfung abdeckt. Schauen wir auf 2019 und 2020. Da zeigt sich: Wir haben die EU-Grenzwerte eingehalten. Es zeigt sich also, dass sich Maßnahmen bewähren.“

Es gebe einen „Schulterschluss“ mit Graz, erstmals schieße das Land zum Ausbau von Straßenbahnen zu, es gebe Finanzierung für ein Radwegnetz, durch das die Grazer Umlandgemeinden angebunden werden können. Spontan wenig Begeisterung zeigt Lackner allerdings für Tempolimits. Sie sei einerseits nicht zuständig (das ist ihr Parteikollege Anton Lang, Landeshauptmann-Stellvertreter), andererseits gebe es in Bezug auf die Wirksamkeit von Tempolimits auch Zweifel von Wissenschaftlern und zudem seien Tempolimits nicht im Luftreinhalte-Programm enthalten. Aber: „Wir haben ein Klima-Kabinett eingerichtet, das wird sich mit Tempolimits befassen. Hier gehört so eine Frage hin.“

Die Grazer Umweltstadträtin Judith Schwentner (Grüne) gibt sich erleichtert. „Ich bin dankbar und froh, dass es diesen Rechnungshofbericht gibt. Er hält fest, was geschehen muss. Am Zug ist in erster Linie jetzt das Land Steiermark. Zu den drei Empfehlungen, die sich an Graz richten: Ja, wir müssen stärker in Richtung menschengerechte Stadt gehen, weg von der autogerechten.“

Aussendung des Rechnungshofes und RH-Bericht im Original

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