Nachdem ein mutmaßlicher Sexualstraftäter unerwartet freigesprochen worden ist, plädiert die Opferanwältin nun für eine Gesetzesreform.
Vorige Woche wurde ein Ex-Mitarbeiter eines Wiener Krankenhauses vom Vorwurf der Vergewaltigung im Zweifel freigesprochen. Mittlerweile ist der im Straflandesgericht Wien ergangene Spruch rechtskräftig. Das Besondere: Der Mann hatte sich der sexuellen Belästigung (nicht aber der Vergewaltigung) schuldig bekannt. Er ging aber trotzdem frei. Nun fordert die Opfer-Vertreterin eine Reform des Sexualstrafrechts.
Die Staatsanwältin hatte dem Mann (Verteidiger: Roland Friis) vorgeworfen, im August 2020 eine beischlafsähnliche Handlung an einer Kollegin gegen deren Willen vorgenommen zu haben. Tatort sei der gemeinsame Arbeitsplatz gewesen - ein Röntgen-Raum in dem Krankenhaus. Die Vergewaltigungs-Anklage ging aber nicht durch.
Richterin Elisabeth Reich ließ die Opfer-Anwältin, Sonja Aziz, wissen, dass eine kurzfristige Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen „sexueller Belästigung“ (dies hatte der Mann ja gestanden) nicht mehr möglich sei. Eine Ermächtigung hätte im Vorverfahren, spätestens bis zur Anklageerhebung, erteilt werden müssen.
Zur Erklärung: Vergewaltigung ist ein Offizialdelikt, hier braucht es keine Ermächtigung. Hier wird von amtswegen ermittelt. Also: Ohne rechtzeitige Ermächtigung – keine Verurteilung wegen „sexueller Belästigung“.
Ein rechtliches Vakuum
Aber: Laut Gesetz (Paragraf 92 Strafprozessordnung) hätte die Staatsanwaltschaft (StA) oder die Kriminalpolizei das Opfer im Ermittlungsverfahren „unverzüglich“ fragen müssen, ob es Ermächtigung erteilt. Dies geschah aber nicht.
Macht nichts, heißt es bei der StA Wien sinngemäß. Denn das Opfer lasse sich ja ohnedies als Privatbeteiligte rechtlich vertreten – dies wiederum gelte (laut demselben Gesetz) als Ermächtigung.
Außerdem sei man eben von einer Vergewaltigung ausgegangen, und nicht von einer Belästigung. Noch dazu sei das Geständis des Mannes ohnedies nicht geeignet gewesen, eine Verurteilung herbeizuführen (selbst wenn eine Ermächtigung vorgelegen wäre).
Nun: Ein an sich wertloses Geständnis sei das keineswegs gewesen, entgegnet Verteidiger Roland Friis. Wenn allerdings die Voraussetzungen für eine Verurteilung nicht erfüllt seien, dann müsse eben mit Freispruch vorgegangen werden.
Und auch Opferanwältin Aziz kontert in Richtung Staatsanwaltschaft: Sie habe erst im Stadium der Hauptverhandlung die Vertretung des Opfers im Sinne eines Privatbeteiligten-Anschlusses übernommen. In der Frühphase des Verfahrens sei sie als Privatbeteiligten-Vertreterin noch gar nicht auf der Bildfläche erschienen.
Staatsanwaltschaft in der Pflicht
Weiters erklärt Aziz: „Gemäß Paragraf 92, Absatz 1 StPO hat die Polizei oder die StA das Opfer unverzüglich anzufragen, ob sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Es ist daher Aufgabe der Staatsanwaltschaft – als Herr des Ermittlungsverfahrens – das Opfer im Zuge der Ermittlungen nach der Erteilung der Ermächtigung zu fragen."
Und: „Diese Verantwortung darf nicht auf das Opfer oder eine allfällige rechtliche Vertretung abgewälzt werden. Die Tendenz der Überwälzung der Verantwortung zeigt sich in der Praxis immer öfter wie etwa bei der Beweisbeschaffung. Von einem Stalking-Opfer wird etwa erwartet, dass es seitenweise Screenshots mit Datum versehen und am besten chronologisch geordnet auf eigene Kosten ausdruckt und unter Umständen sogar noch übersetzen lässt - statt einer amtswegigen Beweissicherung."
Schlussendlich fordert die Opferanwältin: Der Gesetzgeber solle das Delikt „sexuelle Belästigung“ als „uneingeschränktes Offizialdelikt ausgestalten“. Dies wollen auch Frauenorganisationen. Ob der Fall eines Mannes, der teilweise gesteht, aber freigesprochen werden muss, tatsächlich zu einer Reform beiträgt, bleibt abzuwarten. Für Kontroversen ist gesorgt.