Helga Schuberts „Vom Aufstehen“: Brevier über den Osten

Wie fühlt sich Flucht an und wie Ankommen, wie das Leben in der DDR? Davon erzählt Helga Schubert.

Besuch ist gekommen. Besuch im Häuschen Helga Schuberts in Bad Kleinen. Was ihm denn einfalle zu Mecklenburg-Vorpommern heute – im Gegensatz zu früher, will die Gastgeberin wissen. Der so Gefragte ist ein Mann, „von dem man einen Vortrag erwarten könnte über die geringe Wahlbeteiligung im Allgemeinen und die bekannt hohe Wahlbeteiligung der Rechten und der Linken im Besonderen, die Landflucht der Hausärzte, die Flucht der Jugend zu den Arbeitsstellen und Ausbildungsplätzen Richtung Westen...“ Aber nichts dergleichen. Stattdessen denkt er an Spargel. Dass Spargelzeit ist. Und man diesen Spargel jetzt auch bekommt, weil er nicht mehr für den Export reserviert ist, weil er nicht nur Devisen einbringen soll. Und seine Frau erinnert sich daran, dass die im selben Haus wohnende Verkaufsstellenleiterin ihr immer wieder ein paar Stangen schenkte von dem Spargel, den sie heimlich für sich selbst abgezweigt hatte. Der durchs Stiegenhaus ziehende Duft hätte Neid hervorrufen können.

Oder gar: zur Denunziation führen? Solcherart sind die Geschichten von Helga Schubert, die vergangenes Jahr mit einem Beitrag aus diesem Band den Bachmann-Preis gewann. Sie erzählt vom Kleinen und vom Großen, vom Spargel und vom System, und davon, wie beides zusammenhing und zusammenhängt. Sie tut das in einzelnen Kapiteln, die „Mein idealer Ort“ heißen oder „Mein Wald“, „Das vierte Gebot“ oder „Alt sein“, und in jedem dieser Kapitel sucht sie eine andere Annäherung an ihre Themen, die da lauten: Was macht das mit einem, Flucht? Wie fühlt es sich an, eingesperrt zu sein, in der Ostsee die Fähren vorüberziehen zu sehen, zu wissen: Es gibt sie, und das ist schön. Aber auch zu wissen: Sie nimmt mich nicht mit, und das ist traurig. Wie mit der Freiheit umgehen? Aber auch: wie annehmen, was einem widerfahren ist?

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