Unterwegs

Vogelgezwitscher und Blütenduft

Der Frühling verleiht London Zuversicht.

Nennen wir ihn John. Seit Jahr und Tag, in Sturm und Regen, hockt er vor dem Supermarkt in der Ostlondoner Roman Road und hofft auf gute Gaben. Das kann ein Geldstück ebenso sein wie ein Sandwich. Lieber noch nimmt John eine Zigarette. Die genießt er am liebsten bei einem kleinen Schwatz.

Corona, so sagt er, sei „gut für mich“ gewesen. Zwar habe er die ersehnte Impfung noch nicht bekommen – „Meine Altersgruppe kommt erst an die Reihe“, schmunzelt er etwas kokett –, aber sein Leben als Obdachloser habe sich im vergangenen Jahr deutlich verbessert: Die Bezirksverwaltung verschaffte ihm, ebenso wie Dutzenden seiner Weggefährten, eine feste Bleibe.

Vor allem aber, sagt John: „Die Menschen sind gut zu mir.“ Als sich in der Zeit der Zutrittsbeschränkungen oft lange Warteschlangen vor dem Supermarkt bildeten, schafften es viele nicht mehr, wie bisher vor dem Elend in nächster Nähe ihre Augen zu verschließen. Viele machten es sich damals zur Gewohnheit, mit John zu plaudern, ihm etwas zu geben oder etwas für ihn einzukaufen.

Dass sich jetzt der Frühling auszubreiten beginnt, macht zusätzlich froh. Warm ist die Luft geworden, in der immer noch durch Lockdown lahmgelegten Metropole London kann man dieser Tage in der Früh Vögel zwitschern hören und frischen Blütenduft schnuppern. Die erfolgreiche Impfkampagne hat dem Land einen riesigen Schub an Zuversicht gegeben. Nur der Regen fällt jetzt besonders häufig. John kann aber auch das nicht betrüben: Vor Kurzem hat ihm jemand einen Schirm geschenkt. ⫻

aussenpolitik@diepresse.com


Nächste Woche:
Jutta Sommerbauer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2021)

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