Wiens Industriebetriebe orten Verbesserungen in der Bürokratie, suchen Lehrlinge und kämpfen mit Anrainern.
Die Industriebetriebe in Wien sichern geschätzte 120.000 Arbeitsplätze, sie stehen aber (unabhängig von Corona) vor Herausforderungen und Problemen. Welche das sind, wie die Stadt Wien die Betriebe besser unterstützen kann und was die Wirtschaft in Wien hemmt, zeigt eine Umfrage der Wirtschaftskammer Wien (WKW), die die Stimmung in der Branche alle zwei Jahre erhebt.
Die aktuelle Umfrage wurde am Dienstag präsentiert, befragt wurden 172 Wiener Industrieunternehmen (rund ein Drittel des Sektors). Die markantesten Aussagen: Wien verliert immer mehr seine Bedeutung als Tor zum Osten, im Bereich der Bürokratie hat sich die Situation laut Industriebetrieben sogar verbessert, in Zeiten, in denen Lehrstellen aus wirtschaftlichen Gründen gestrichen werden, ist die Industrie auf der Suche nach Lehrlingen.
Bürokratie als kleiner werdendes „Übel"
Rund vier von zehn Betrieben kritisieren, dass es seitens der Behörden ein mangelndes Verständnis für die Anliegen der Industrie gibt. Das ist die große Überraschung der Umfrage. Denn die 39 Prozent bedeuten eine signifikante Verbesserungen im Bereich der Bürokratie gegenüber der Umfrage vor zwei Jahren. Damals kritisierten 48 Prozent der Industriebetriebe die Wiener Bürokratie als Standortnachteil. WKW-Spartenobmann Stefan Ehrlich-Adám führt das auch auf das Bemühen der Stadt zurück, für die produzierende Wirtschaft Betriebsflächen zu sichern.
Die größere Zufriedenheit mit dem Agieren der Bundeshauptstadt dürfte auch dafür gesorgt haben, dass die Abwanderungstendenzen bei Wiener Industriefirmen zurückgegangen sind: Nur mehr ein Achtel der Firmen überlegt, Firmenteile von Wien abzuziehen.
Insgesamt gibt es in Wien rund 600 Industriebetriebe in 16 Bereichen – von der Elektro-, Bau- und Lebensmittelindustrie über die Metalltechnik bis zur Fahrzeugindustrie. In diesen Sparten sind rund 55.000 Menschen beschäftigt, 900 Lehrlinge werden ausgebildet, Waren im Wert von 22 Milliarden Euro werden produziert.
Das Tor zum Osten
Eine Überraschung ist, dass laut Industriebetrieben die Bedeutung Wiens als Tor zum Osten abgenommen hat. Nur noch vier von zehn Industriebetrieben sehen Wiens Nähe zu den östlichen EU-Ländern als Vorteil, nur zwei von zehn Betrieben die Nähe zu anderen Ostmärken. 2018 waren es 52 Prozent bzw. 28 Prozent. Ehrlich-Adám fordert deshalb, dass die gewachsenen Beziehungen zu den Ostmärkten weiter gepflegt werden; unter anderem mit dem Ausbau von Verkehrsverbindungen.
Hohe Mietkosten
Wie jeden Wiener treffen die gestiegenen Mietpreise bzw. Grundstückspreise auch die Industriebetriebe. Dazu beklagt die Branche die hohen Lohnkosten in Wien. Das sind laut Umfrage jene Themen, die die Industriebetriebe am intensivsten beschäftigen bzw. die als größte Standortnachteile gesehen werden.
Das Thema Anrainerprobleme legte in der Umfrage um zehn Prozentpunkte auf 29 Prozent zu: „Das ist ein Zeichen, dass das Nebeneinander von Leben und Wirtschaften in einer Großstadt eine beständige Herausforderung ist“, formuliert es Ehrlich-Adám diplomatisch.
Eine positive Überraschung: Trotz Coronakrise gab ein Viertel der Industriebetriebe an, ihre Investitionen steigern zu wollen. Und 47 Prozent kündigten an, die Investitionen nicht zurückfahren zu wollen.
Lehrlinge gesucht
Ebenfalls eine Überraschung: Während zahlreiche Betriebe aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit keine Lehrlinge mehr ausbilden wollen, sieht es bei den Industriebetrieben anders aus: Zwei Drittel wollen die Lehrlingsausbildung sogar verstärken.
Die Folge: Ende des heurigen März gab es um 7,7 Prozent mehr Lehrlinge als im März 2020 – zumindest im Wiener Industriebereich. Parallel dazu läuft eine Kampagne der Branche, um weitere Lehrlinge anzuwerben, Stichwort: Facharbeitermangel.