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Eine Spritze, und alles wird super

Thunder Force
Thunder ForceHOPPER STONE/NETFLIX © 2021 
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Die Superheldinnen-Komödie „Thunder Force“ (auf Netflix) hat die Welt wirklich nicht gebraucht. Doch sie erinnert an ein Heilsversprechen, das gerade wieder tröstlich ist: Erlösung via Injektion.

Die Erlösung vom Chaos der Welt erfolgt durch eine Spritze. Das hoffen derzeit viele, die auf ihre erste Impfdosis warten: ein beachtlicher Kraftakt schlauer Wissenschaftler, ein kleiner Stich – und bald schon kann die alte Normalität wieder einkehren. Es ist ein Gedanke, der auch in der Film- und Popkultur schon seit Langem durchgespielt wird. Freilich mit der gebotenen narrativen Überzeichnung – und mit obskureren Mitteln als AstraZeneca oder Sputnik V: Wenn scheinbar unkontrollierbare Mächte am Werk sind, wenn der medizinisch unangetastete Mensch sich allein nicht mehr helfen kann, dann muss eben ein Superserum her, das wieder für Ordnung und einen unbeschwerten Alltag sorgt.

Und je glaubwürdiger die Macher dieses Wundermittels, desto besser: Die Schöpfer des erstmals 1941 in einem Marvel-Comic in Erscheinung getretenen „Captain America“ entwickelten den (heute längst zu einem Klischee verkommenen) „mad scientist“ zur wohlmeinenden staatlichen Wissenschaftsabteilung weiter. Ein patriotischer Jüngling, der seinem Land aufgrund seiner zarten Statur nicht dienen kann, bietet sich als Testobjekt an und bekommt von der US Army ein Superserum injiziert, das ihn in einen übermenschlichen Elitesoldaten im Kampf gegen Nazi-Deutschland verwandeln soll.

Mit einer Impfung im Sinne eines vorbeugenden, das Immunsystem aktivierenden Mittels haben die Superspritzen der Film- und Comicgeschichte meist wenig zu tun (wenngleich im britischen Horrorfilm „The Creeping Flesh“ von 1973 mit Christopher Lee tatsächlich eine Impfung „gegen das Böse“ entwickelt wird). Der Begriff kommt trotzdem immer wieder vor: Im Animationsfilm „The Batman vs. Dracula“ (2005) forscht Batman an einer „Anti-Vampirismus-Impfung“, mit der er die durch einen Biss von Dracula Infizierten von ihrem Blutdurst befreien will. Prophylaktische Wirkung hin oder her: Das Heilsversprechen aus der Nadel wird seit Jahrzehnten kultiviert.

Ein Serum, vergeudet an eine Idiotin

Auch im neuesten Netflix-Film „Thunder Force“, wenn auch auf denkbar verblödelte Weise: Die beduselte Mittvierzigerin Lydia (Melissa McCarthy) schlendert durch den Büro-Labor-Komplex ihrer alten Schulfreundin und nunmehr Hightech-Unternehmerin Emily (Octavia Spencer), tapst nichtsahnend ein paar Schalter an – und schon wird sie von Roboterarmen auf die Behandlungsliege geschnallt und bekommt schreiend Vierfachspritzen in beide Wangen gedrückt. Das Lebenswerk der ehrgeizigen Emily, „vergeudet“ an eine „Dorfidiotin“: Die Staplerfahrerin, die mit offenem Mund kaut und sich Dosenbier ins Müsli schüttet, entwickelt bald übermenschliche Muskelkraft, mit der sie ihre Stadt von Angst und Terror befreien soll.

Zum fünften Mal lässt Regisseur Ben Falcone seine Ehefrau McCarthy (die sich als gute Schauspielerin längst bewiesen hätte) hier brachiallustige, also eigentlich recht unlustige, Spompanadeln aufführen. „Thunder Force“ imaginiert ein Chicago voller Leute mit Superkräften, die leider alle böse sind. Die Erzählerstimme am Anfang erklärt das mit „interstellaren kosmischen Strahlen“, die nur jene treffen, die qua genetischer Disposition Soziopathen sind, im Bild drehen sich dazu Antikörper um flauschige blaue Viren (aber um pseudowissenschaftliche Logik ist der Film genauso wenig bemüht wie um eine schlüssige Handlung).

Diesen Gestalten wollen Lydia und Emily, die sich selbst ein Unsichtbarkeitsserum verpasst hat, mit Superkräften aus der Retorte begegnen. „Thunder Force“ folgt dem Muster einer Buddy-Komödie (entfremdete Freundinnen finden zueinander), angereichert mit einer halbgaren politischen Verschwörung (Bizarrer Bürgermeister fürchtet liberale Kandidatin, die Alexandria Ocasio-Cortez nachempfunden sein dürfte) und Witzen, die sich an der neuen Selbstverständlichkeit politisch korrekter Umgangsformen abarbeiten: Ein Mann (Jason Bateman), der halb Krabbe ist (eine zweifelhafte Superkraft!), beschwert sich im Restaurant über den unsensiblen Kellner, der ihm eine Meeresfrüchte-Platte empfiehlt. Kann er sich nicht denken, dass das ein Reizthema ist?

Dann müht er sich vergeblich, mit seinen Scherenhänden ein Martini-Glas zu halten. Und Lydia wirft einen Bus, weil sie halt kann. Gegen die wachsende Superhelden-Müdigkeit beim Filmpublikum wird diese missglückte Parodie wohl nicht ankommen. Da braucht es schon ein stärkeres Serum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2021)

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