Blau vor Angst und rot vor Zorn

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Die obersteirischen Wähler fürchten den sozialen Abstieg. Arbeitslosigkeit ist ein Kernthema. Auch die Ausländerpolitik steht in der Krise im Vordergrund. Der Wirtschaftsaufschwung kam für die SPÖ zu spät.

Graz. Minus zehn Prozentpunkte in Kapfenberg, minus 8,35 in Mürzzuschlag, minus 7,4 in Knittelfeld, minus sechs in Trofaiach oder in Bruck an der Mur: Die Verluste der SPÖ in ihren industriegeprägten Kernregionen sprechen eine klare Sprache – und auch nicht. Die Wahlergebnisse lassen zwar vermuten, dass die Krisenverlierer in vielen obersteirischen Orten nahtlos zur FPÖ gewandert sind. Es gibt aber auch Ausreißer in ein und denselben Regionen. Leoben ist so einer: Da gab es für die Roten mit 5,3 Prozentpunkten Verlust einen kleineren Dämpfer, in Eisenerz war er mit 0,17 Prozent sogar marginal. Dafür setzte es in Altaussee und Bad Aussee mit minus 23,35 bzw. minus 19,26 Prozentpunkten besonders schallende Ohrfeigen. Inhomogene Ergebnisse, die für Wahlforscher wie Parteistrategen eine Qual sind.

Einiges lässt sich einfach erklären. Im Ausseerland zürnten die Wähler den Sozialdemokraten, weil diese die Chirurgie im örtlichen Spital wegen mangelnder Auslastung hatten zusperren wollen. In Mürzzuschlag allerdings, wo dasselbe geplant (und ebenfalls abgesagt) gewesen war, nahm man das nicht so krumm.

Die Tendenz ist für Günther Ogris, der nach der steirischen Wahl Wählerstromanalysen durchführte, dennoch klar: „In Zeiten der Hochkonjunktur und der sinkenden Arbeitslosigkeit spielt die Zuwanderungspolitik eine untergeordnete Rolle – und umgekehrt.“ Die Angst der Mittelschicht vor einem sozialen Abstieg war eindeutig noch vorhanden. Für die steirische SPÖ kam der Wirtschaftsaufschwung und der Rückgang der Arbeitslosigkeit um 17 Prozent daher etwas zu spät, um die Stimmung noch einmal zur Gänze herumzureißen. Die Arbeitslosigkeit war als Wahlmotiv immerhin für 47 Prozent entscheidend, sie lag damit an vierter Stelle, gleichauf mit dem Thema Pensionen und Steuern. Die wichtigsten Fragen waren für die Steirer Gesundheit (55 %), Bildung (53 %) und Sicherheit (52 %). Die Zuwanderung, die SPÖ-Chef Franz Voves nun zu seinem Herzensanliegen machen will und die er offenbar als roten Schwachpunkt sieht, stand mit 31 Prozent des Interesses nur an viertletzter Stelle.

Tiefpunkt überwunden?

Dass es der SPÖ zum Teil gelungen ist, die negative Tendenz in ihren Kernregionen zu bremsen, zeigt das Beispiel Kapfenberg: Bei der Gemeinderatswahl im heurigen März stürzte die SPÖ in der Böhlerstadt noch um 20,74 Prozentpunkte ab, bei der Landtagswahl stoppte man den Verfall auf zehn. Und die FPÖ hat dort schon bessere Zeiten erlebt. 13,72 Prozent sind nach dem blauen Tiefpunkt von 2005 (4,24 Prozent) zwar bemerkenswert. Von den 17,14 Prozent, die 1991 Jörg Haider eingefahren hat, ist man aber noch ein Stück entfernt. Ogris erklärt sich das damit, dass die Strache-FPÖ doch radikaler ist als die Haider-FPÖ und daher für junge Frauen noch weniger wählbar. Sie bleibe in etwa bei zwei Drittel ihres früheren Potenzials stecken.

Trotzdem: Auch wenn die SPÖ in Kapfenberg seit 20 Jahren zwischen 60 und 70Prozent schwankt, das rote Potenzial also oft ausschöpft, kann sie sich ob eines totalen Verfalls nicht sicher sein. Denn so wie die ÖVP in ländlichen Regionen mit gewaltigen Strukturproblemen und überalteten Funktionärsapparaten kämpft, tut dies die SPÖ in den Industriestädten. In der Steiermark sind dies Gebiete mit massiver Abwanderung, die auch in Zeiten guter Wirtschaftslage unter asiatischer Konkurrenz leiden. Die Söhne der roten Arbeiter maturieren und ziehen in größere Städte. Außerdem waren auch in der Obersteiermark nicht immer alle rot. Bauernkinder wurden erst zu Bauarbeitern und färbten ehemals schwarze Gebiete erst rot und dann blau. Gleichzeitig sind frühere Kleinunternehmer im Süden nun Angestellte von Handelsketten und bröckeln sukzessive von Schwarz zu Rot ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2010)

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