Uni brennt: Über Biedermänner und Brandstifter

Seit Langem ist bekannt, wie man die katastrophale Lage an Österreichs Universitäten verbessern könnte: durch ein Ende des „freien“ Hochschulzugangs.

Jetzt protestieren also die Rektoren. Das Audimax werden sie wohl eher nicht besetzen. Auch die Frage, an welcher Position sich Transsexuelle in der Prozessionsordnung zum Wissenschaftsministerium einreihen dürfen, wird eine geringere Rolle spielen als bei den Protesten der Audimaxisten. Sonst hat sich aber wenig geändert in dem knappen Jahr, das seit dem Beginn der letzten Studentenrevolte vergangen ist: Uni brennt.

Wie in vielen anderen Bereichen auch – Sozialsystem, Pensionssystem, Gesundheitssystem – schreiben das die üblichen Unverdächtigen den neoliberalen Exzessen der Ära Schwarz-Blau zu. Das ist aus mehreren Gründen eine Ironie der Ideologiegeschichte.

Erstens konnte man der Koalitionsregierung aus ÖVP und FPÖ vieles vorwerfen, nur nicht neoliberale Umtriebe. Der von SPÖ und Grünen angefertigte Mythos ist nur deshalb so langlebig, weil in Österreich jeder den Legionen des Neoliberalismus zugeordnet wird, der nicht „Alles für alle“ fordert. Und weil die Anarcho-Marxisten von Attac im Edelsender Ö1 die Deutungshoheit innehaben. „Eigentum ist Diebstahl“, jenen Satz, den Karl Marx an dem von ihm eher bekämpften Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon so geschätzt hat, platzieren sie täglich in irgendeiner Sendung. Dass sich das Umfeld des damaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser die Taschen vollgestopft hat, reicht ihnen und den Sendungsverantwortlichen als Beweis.

Zweitens ist der katastrophale Zustand unserer Universitäten wenn schon, dann nicht eine Folge von zu viel, sondern von zu wenig liberalem und sozialem Denken. Die Idee, dass der sogenannte „freie Hochschulzugang“ für mehr soziale Mobilität, also für vermehrte Aufstiegsmöglichkeiten von Kindern der Arbeiterklasse, sorgen würde, gehört zu den großen Irrtümern der Zweiten Republik. Das ist empirisch hervorragend belegt und wird inzwischen auch von vielen Sozialdemokraten, die sich früher vehement für den freien Hochschulzugang eingesetzt haben, anerkannt.

Möglicherweise weiß sogar Werner Faymann, dass Studiengebühren nicht das Problem, sondern ein wichtiger Teil der Lösung sind. Sie sorgen, wie in den Zeiten von Schwarz-Blau, für eine Reduktion der Karteileichen. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil dadurch das statistische Material für internationale Vergleiche (Ausgaben pro Student etc.) realistischer wird. Studiengebühren müssten aber eigentlich gerade aus sozialdemokratischer Sicht ein Muss darstellen: Dass der Staat das Studium eines Generaldirektorensohnes genauso hoch subventioniert wie das eines Arbeiterkindes, ist ein beeindruckendes Beispiel für die Umverteilung von oben nach unten.

„Studienplatzbewirtschaftung“ und „Zugangsbeschränkung“ sind die Schlüsselbegriffe für die Sanierung unserer Universitäten. Der Staat muss sich festlegen, wie viele Studienplätze er in welchem Fach zur Verfügung stellt, diese ausreichend ausstatten und sie jenen zur Verfügung stellen, die die besten Voraussetzungen erfüllen. Das bedeutet möglicherweise mehr Geldbedarf fürs System, den man teils über Studiengebühren decken könnte. Und es bedeutet auf jeden Fall Selektion. Schon bisher wurde ja sozial selektiert: Wer es sich finanziell leisten konnte, auf Labor- und Seminarplätze zu warten, hat es geschafft, die anderen mussten irgendwann aufgeben. In Zukunft sollte man nicht mehr versteckt sozial selektieren, sondern offen nach Leistung.


Warum nichts passiert, obwohl seit Langem jeder weiß, dass die Uni brennt? Es liegt wohl an einem Überangebot an Biedermännern und Brandstiftern. Die Brandstifter haben vor einem Jahr dafür gesorgt, dass die Studentenproteste, für deren Anliegen es breites Verständnis gab, zu einer Post-68er-Freakshow verkommen sind. Die Biedermänner sitzen auf dem Ballhausplatz und teilweise in den Rektoraten. Die Regierungsspitze versucht, das Problem weiter zu ignorieren, die Rektoren haben sich vor einem Jahr überwiegend als Feiglinge erwiesen.

Die Wissenschaftsministerin, die erst nach den letzten Protestaktionen ins Amt kam, hat die richtigen Ideen, aber sie ist vermutlich im falschen Film: Täglich grüßt das Murmeltier.

michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Hochschule

Karl will Schützenhilfe des Präsidenten

Semesterstart. Ministerin Beatrix Karl setzt in der verfahrenen Uni-Debatte auf Bundespräsident Heinz Fischer und die „konstruktiven“ Stimmen der SPÖ.
Mehr Studenten, weniger…

Die Baustellen an der Uni


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.