Romelu Lukaku

Romelu Lukaku: Die Botschaften des Torjägers

Ein Abend zwischen Schock, Trauer, Buhrufen und Jubelgesten: Belgiens Romelu Lukaku.
Ein Abend zwischen Schock, Trauer, Buhrufen und Jubelgesten: Belgiens Romelu Lukaku.Reuters
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Belgiens Stürmerstar durchlebte eine Achterbahnfahrt der Gefühle: Er weinte um Teamkollegen Eriksen, kniete gegen Rassismus und schoss seine Mannschaft danach zum Sieg.

St. Petersburg. Auf den Liebesgruß ins TV-Weltbild ließ Belgiens Matchwinner Romelu Lukaku eine emotionale Rede folgen. Sein Klubkollege Christian Eriksen, der bei der EM kollabiert war, ist für den Torjäger viel mehr als nur ein Teamgefährte. „Wir spielen zusammen, wir verbringen viel Zeit zusammen. Ich verbringe mehr Zeit mit ihm als mit meiner eigenen Familie“, sagte Lukaku, der beim souveränen 3:0 gegen Russland doppelt traf und schon nach seinem ersten Tor die Kamera suchte, um dort aus der Ferne Grüße an Eriksen zu richten: „Chris, Chris, (. . .), I love you.“

Sofort herbeigerufene Helfer hatten in Kopenhagen lebensrettende Maßnahmen eingeleitet. Der 29-jährige Eriksen wurde ins Krankenhaus gebracht, wo sich sein Zustand nach Angaben des dänischen Verbandes stabilisierte. Die große Ungewissheit, bevor es in Dänemark weiter- und im russischen St. Petersburg planmäßig losging, bewegte auch Lukaku. „Meine Teamkollegen haben mir geholfen, diese Situation zu meistern. Ich bin ihnen sehr dankbar. Meine Gedanken sind nur bei Christian, das ist sicher“, sagte der Belgier. Der Sieg, der Doppelpack: Diesmal alles nur Beiwerk.

„Ihn so zusammenbrechen zu sehen, war richtig, richtig hart für mich“, sagte Lukaku. „Ich habe vor dem Spiel viele Tränen für Christian Eriksen vergossen. Es war schwer für mich, mich zu konzentrieren“, schilderte der Stürmer. Die beiden Profis von Inter Mailand legten sich in der abgelaufenen Spielzeit nicht nur so viele Tore auf, dass der Traditionsklub die erste Meisterschaft seit 2010 holte – sie kennen und schätzen sich auch privat, wie Lukaku immer wieder hervorhob.

Auch Chefcoach Roberto Martínez schilderte, welchen Einfluss die schockierende Szene auf die unmittelbare Spielvorbereitung und das Gemüt seiner Spieler nahm. „Es herrschte tiefe Trauer. Wir haben es live gesehen – wir wollten fünf Minuten später unser Teammeeting beginnen. Das Letzte, worüber wir reden wollten, war Fußball. Es war ein Schock, es gab Tränen“, beschrieb der Spanier. Neben Lukaku sind auch die Verteidiger Jan Vertonghen und Toby Alderweireld mit Eriksen vertraut, weil sie jahrelang gemeinsam bei Tottenham Hotspur spielten.
Die Austragung der Partie wurde offenbar nicht groß hinterfragt, wie Martínez andeutete. „Ich bin nur der Trainer von Belgien. Wir müssen immer auf die Anweisungen warten“, kommentierte er dazu. Da nach der ersten Entwarnung bei Eriksen in St. Petersburg die übliche Zeremonie tobte, nutzten Lukaku und Co. die Bühne eben für Botschaften. Der Stürmer grüßte nicht nur emotional Kumpel Eriksen, sondern kniete mit seinen Red-Devils-Mitspielern vor dem Anpfiff auch, um ein geschlossenes Zeichen gegen Rassismus zu senden.

Lukaku hat damit selbst Erfahrung. Er musste 2019 bei einem Elfmeter für Inter deutlich hörbar Affenlaute ertragen und hat seither immer wieder vehement seine Stimme gegen Rassismus erhoben. „Wir befinden uns im Jahre 2019, aber anstatt Fortschritte zu machen, gehen wir rückwärts“, prangerte Lukaku nach den schweren Vorfällen in der Serie A damals an.

Dieses Mal gab es zwar keinerlei Verfehlungen in diese Richtung, die knienden Belgier wurden von den 26.242 überwiegend aus Russland stammenden Zuschauern dafür mit Pfiffen und Buhrufen bedacht. Russlands Trainer Stanislaw Tschertschessow wollte die Aktion nicht kommentieren.

Überhaupt war Tschertschessow nach dem 0:3 ziemlich schlechter Laune. Zunächst beschwerte er sich, dass die Journalisten in der coronabedingt online durchgeführten Pressekonferenz ihn sehen, er aber nicht alle Journalisten. Dann passten ihm auch die inhaltlich gewählten Aspekte nicht. Auf die Frage, wie er das Knien der Belgier als Zeichen gegen Rassismus bewerte, antwortete der frühere Tirol-Spieler und -Trainer gereizt: „Das ist keine Frage, die mit Fußball zu tun hat. Wenn Sie eine haben, stellen Sie mir dazu eine.“

Löcher in den Schuhen

Lukakus Horizont aber reicht deutlich über Ball, Rasen und Tor hinaus. Zur WM 2018, als der Torjäger bereits ein Weltstar war, verfasste er in „The Players Tribune“ einen emotionalen Beitrag, in dem er seine Kindheit beschrieb, die von Armut, Existenzangst und in der Wohnung umherlaufenden Ratten geprägt war. „Ich erinnere mich, dass ich 2002 Löcher in meinen Schuhen hatte. Große Löcher. Zwölf Jahre später spielte ich plötzlich bei der WM.“ (red.)

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