Konflikt

Taliban-Angriffe: Afghanische Regierung in "existenzieller Krise"

Afghanistans Regierungschef Abdullah Abdullah bei den Verhandlungen mit den Taliban mitte Juli in Doha.
Afghanistans Regierungschef Abdullah Abdullah bei den Verhandlungen mit den Taliban mitte Juli in Doha.APA/AFP/KARIM JAAFAR
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Die Zahl der Attacken der Taliban hat sich verdoppelt, auch die Zahl der zivilen Opfer nahm deutlich zu. Seit dem Abzug der US- und Nato-Truppen entgleitet der Regierung die Kontrolle, attestiert ein Bericht der US-Behörde Sigar.

Die afghanische Regierung steht einem US-Behördenbericht zufolge wegen zunehmender Angriffe der Taliban vor einer "existenziellen Krise". Laut einem am Donnerstag veröffentlichen Bericht der US-Generalinspektion für den Wiederaufbau Afghanistans (Sigar) hat sich die Zahl der Taliban-Angriffe sei dem Abkommen von Doha über einen US-Truppenabzug verdoppelt.

Die Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump hatte im Februar 2020 in Doha ein Abkommen mit den Taliban geschlossen, um den längsten Kriegseinsatz der US-Geschichte zu beenden. Dabei setzten die USA auf Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung. Diese Gespräche blieben jedoch bis heute ohne greifbares Ergebnis, während die USA ihren Truppenabzug planmäßig starteten und bis Ende August abschließen wollen. Gleichzeitig gingen die Islamisten in die Offensive.

Laut dem Sigar-Bericht stieg die Zahl der von den radikalislamischen Taliban verübten Angriffe von 6700 in einem Drei-Monats-Zeitraum Anfang 2020 auf 13.242 zwischen September und November vergangenen Jahres. Seither liege die Zahl in jedem folgenden Drei-Monats-Zeitraum bei mehr als 10.000.

Auch die Zahl der Todesopfer nahm deutlich zu: Zwischen Jänner und März 2020 wurden laut dem Bericht 510 Zivilisten getötet. Im dritten Quartal 2020 stieg diese Zahl auf 1.058. Die jüngsten Daten zeigten allein für April und Mai dieses Jahres 705 zivile Todesopfer.

Düstere Nachrichten aus Afghanistan

Die afghanische Regierung stehe vor einer "existenziellen Krise", wenn dieser Trend nicht umgekehrt werde, sagte der Generalinspekteur John Sopko. Im Gegensatz zum "verbreiteten Überoptimismus" biete der Bericht ein ernüchterndes Bild. "Die Nachrichten, die in diesem Quartal aus Afghanistan kommen, sind düster", fasst der Bericht zusammen.

Parallel zum rasch fortschreitenden Abzug der US- und anderer Nato-Truppen aus Afghanistan hatten die Taliban in den vergangenen Monaten große Teile des Landes erobert. Die afghanische Armee sei "überrascht und unvorbereitet" gewesen und befinde sich jetzt in der Defensive, hieß es in dem Bericht. Besonders besorgniserregend sei das Tempo, mit dem die Aufständischen auch Provinzen im Norden des Landes eingenommen hätten, traditionell eine Hochburg von Taliban-Gegnern.

Mittlerweile kontrollieren die Islamisten rund die Hälfte der etwa 400 Bezirke Afghanistans. Beobachter befürchten, dass die Taliban nach dem vollständigen Abzug der internationalen Truppen wieder vollends die Macht am Hindukusch übernehmen könnten. Indes sind seit dem Abzug verstärkte Flüchtlingsbewegungen aus Afghanistan in Richtung Nachbarregionen und Europa zu verzeichnen.

(APA/AFP)

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