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Biden verteidigt Abzug aus Afghanistan - und droht den Taliban

Er sei gegen "endlose Militäreinsätze", erklärt Joe Biden.
Er sei gegen "endlose Militäreinsätze", erklärt Joe Biden.(c) REUTERS (LEAH MILLIS)
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Er sei gegen "endlose Militäreinsätze“, sagt der US-Präsident.

Trotz der raschen Machtübernahme durch die Taliban hat US-Präsident Joe Biden den von ihm angeordneten Abzug des US-Militärs aus Afghanistan verteidigt. Er stehe felsenfest zu seiner Entscheidung, sagte Biden am Montag im Weißen Haus. Es hätte auch keinen Unterschied gemacht, wenn die US-Truppen noch etwas länger in Afghanistan geblieben wären, sagte er und erhob schwere Vorwürfe gegen die entmachtete politische Führung und die Streitkräfte Afghanistans.

Die US-Regierung habe das Tempo des Vormarsches der Taliban in Afghanistan nach Angaben von Präsident Joe Biden zwar unterschätzt. "Dies hat sich schneller entwickelt, als wir erwartet hatten", sagte Biden am Montag bei einer Ansprache im Weißen Haus. Allerdings hätten "die politischen Anführer Afghanistans aufgegeben und sind aus dem Land geflohen". Das Militär des Landes sei kollabiert, "zum Teil ohne den Versuch zu kämpfen". Die USA hätten die afghanischen Sicherheitskräfte ausgebildet und ausgerüstet. Die Vereinigten Staaten hätten ihnen aber nicht den Willen geben können, für ihre Zukunft zu kämpfen: "Amerikanische Truppen können und sollten nicht in einem Krieg kämpfen und in einem Krieg sterben, den die afghanischen Streitkräfte nicht bereit sind, für sich selbst zu führen."

Er sei gegen "endlose Militäreinsätze", fügte Biden an. Es war seine erste öffentliche Äußerung seit der faktischen Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan und auch der Hauptstadt Kabul. Das Ziel der USA in Afghanistan sollte nie der Aufbau eines Staates sein, sondern der Kampf gegen den Terrorismus. Das Ziel, die Terrorgruppe Al-Kaida nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu vernichten, sei längst erreicht worden. Das sei seit Jahren sein Standpunkt.

Den Taliban drohte Biden für den Fall eines Angriffs auf US-Kräfte und ihre Evakuierungsmission: "Wir werden unsere Leute mit vernichtender Gewalt verteidigen, falls nötig“.

Evakuierungsflüge gestartet

Westliche Staaten haben begonnen, in großer Eile ihre Staatsbürger und gefährdete afghanische Ortskräfte auszufliegen. Am Flughafen der Hauptstadt Kabul spielten sich dramatische Szenen ab. Hunderte oder Tausende verzweifelte und verängstigte Menschen versuchten, auf Flüge zu kommen. Dabei sollen auch Menschen in den Tod gestürzt sein. Mindestens zwei wurden von US-Soldaten erschossen.

Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte am Montag, die Bundeswehr wolle ihre Luftbrücke so lange wie möglich aufrechterhalten, "um so viele Menschen wie möglich herauszuholen".

Die Taliban hatten in den vergangenen Wochen nach dem Abzug der ausländischen Truppen in rasantem Tempo praktisch alle Provinzhauptstädte eingenommen - viele kampflos. Am Sonntag rückten sie auch in Kabul ein. Kämpfe gab es keine. Der blitzartige Vormarsch hatte viele Beobachter, Experten und auch die US-Regierung überrascht. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte am Montag: "Es gibt auch nichts zu beschönigen: Wir alle - die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft - wir haben die Lage falsch eingeschätzt."

Merkel: "Da haben wir eine falsche Einschätzung gehabt"

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schloss sich ausdrücklich an. "Da haben wir eine falsche Einschätzung gehabt. Und das ist nicht eine falsche deutsche Einschätzung, sondern die ist weit verbreitet", sagte sie am Abend im Kanzleramt. Zuvor hatte es massive Kritik an der deutschen Regierung gegeben. Unionskanzlerkandidat Armin Laschet kündigte eine "schonungslose" Aufarbeitung dazu an. In den ARD-"Tagesthemen" sagte er: "Ich sage zu: Es wird alles aufgeklärt, wir müssen Konsequenzen ziehen."

UN-Generalsekretär António Guterres mahnte die militant-islamistischen Taliban zu "äußerster Zurückhaltung", um so Leben zu schützen. Humanitäre Hilfe müsse weiter möglich sein, und allen Menschen, die das Land verlassen wollten, müsse dies möglich sein, forderte er bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. Die Weltgemeinschaft rief der UN-Chef auf, afghanische Flüchtlinge aufzunehmen und Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CDU) rechnet damit, dass 300.000 bis fünf Millionen weitere Afghanen die Flucht ergreifen. Das sagte er nach dpa-Informationen bei einer Unterrichtung der Bundestags-Fraktionschefs. Einen Zeitraum nannte er nicht. Kanzlerkandidat Laschet äußerte sich skeptisch über eine Aufnahme von Afghanen in großer Zahl. "Ich glaube, dass wir jetzt nicht das Signal aussenden sollten, dass Deutschland alle, die jetzt in Not sind, quasi aufnehmen kann", sagte der CDU-Vorsitzende nach Beratungen von Präsidium und Bundesvorstand seiner Partei.

Die Lage in Kabul selbst war am Montag angespannt, aber ruhig. Die Taliban besetzten überall in der Hauptstadt Polizeistationen und andere Behördengebäude, wie Bewohner der Deutschen Presse-Agentur berichteten.

Die Aufständischen wollen ein "Islamisches Emirat Afghanistan" errichten, so wie schon vor dem Einmarsch der US-Truppen 2001. Damals setzten sie mit drakonischen Strafen ihre Vorstellungen eines islamischen Staats durch: Frauen und Mädchen wurden unterdrückt, Künstler und Medien zensiert, Menschenrechte permanent verletzt.

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(APA/dpa)

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