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"Nicht hinter jeder kleinen Pension steht ein armer Mensch"

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Die Pensionserhöhung müsse für alle gleich hoch sein, egal, ob arm oder reich, sagt Walter Pöltner, Leiter der Alterssicherungskommission: „Das Pensionssystem ist nicht geeignet für Umverteilung."

Die Presse: Die Regierung will erneut niedrige Pensionen stärker erhöhen als höhere. Sie lehnen diese „soziale Staffelung“ ab. Warum?

Walter Pöltner: Weil sie nicht treffsicher ist. Nicht hinter jeder kleinen Pension steht ein armer Mensch. Arm ist, wer sein ganzes Leben gearbeitet hat und trotzdem nur eine kleine Pension hat, von der er allein leben muss. Aber der war schon vorher arm, nicht erst seit er in Pension ist. Man kann nicht sagen, dass jemand mit weniger als 1000 Euro Pension automatisch arm ist. Armutsbekämpfung über Pensionsanpassung scheint mir ziemlich fantasielos.

Welche Pensionisten sind dann Ihrer Meinung nach wirklich arm?

Wer wirklich arm ist, bekommt die Ausgleichszulage und dessen Pension wird auf 1000 Euro aufgestockt. Gleichzeitig gibt es genug Menschen, die 875 Euro Pension bekommen und keine Ausgleichszulage, weil sie andere Einkommen haben – etwa von ihrem Ehepartner. Das sind zum Beispiel alle Frauen, die verheiratet sind.

Ein Argument für diese Sondererhöhung ist Armutsbekämpfung. Altersarmut trifft ja vor allem Frauen.

Bei Frauenpensionen werden wir wirklich ein Problem bekommen. In Zukunft wird für die Pension das gesamte Erwerbsleben als Durchrechnungszeitraum herangezogen. Viele Frauen arbeiten in Teilzeit, weil sie die Kindererziehung übernehmen. Die kriegen später natürlich auch nur eine kleine Pension. Aber dieses Problem muss man anders lösen als mit einer außertourlichen Pensionserhöhung. Da muss man vorsichtig sein. Denn damit erhöht man natürlich auch die Luxuspensionen der reichen Gattinnen, die ein bisschen zum guten Einkommen ihres Ehemanns dazu verdient haben.

Pensionen über 2333 Euro wurden zuletzt nur um den Fixbetrag von 35 Euro erhöht. Das sei unsozial, sagen Sie. Warum?

Die Pension ist eine Versicherungsleistung. Viele Menschen haben 45 Jahre eingezahlt, um eine gute Pension zu bekommen. Denen kann man nicht sagen: „Du bekommst eine Anpassung unter der Inflation.“ Die Erhöhung muss für alle gleich sein, nur dann ist es fair. Das bedeutet, dass die Kaufkraft erhalten bleibt, für die Armen und die Reichen. Wenn die höheren Pensionen weniger kriegen, ist das eine Leistungskürzung.

Geben Sie uns ein Beispiel.

Nehmen wir den alleinverdienenden Arbeitnehmer. Der hat sein ganzes Leben durchgearbeitet, von seinem Einkommen müssen zwei Menschen leben. Der klassische „Hackler“. Der kriegt vielleicht 3000 Euro Pension. Ist das der Millionär, dem man etwas wegnehmen kann? Und ich spreche nur von den Pensionen aus der Sozialversicherung, nicht von Luxuspensionen. Es ist auch nicht so, dass jemand mit 300 Euro Pension automatisch arm ist. Denn er oder sie kann andere Einkommen auch haben, etwa eine Pension aus dem Ausland. Aber darauf wird nicht geschaut.

Können Sie das anhand von Zahlen festmachen?

Um die 300.000 Pensionen in Österreich sind niedriger als 325 Euro im Monat. Das sind in der Regel keine Menschen, die ein Leben lang in Österreich gearbeitet haben. Denn dann müssten sie deutlich mehr bekommen. Es gibt Menschen, die gezielt schauen, dass sie irgendwie auf 15 Erwerbsjahre kommen, um im Alter eine kleine Pension und damit eine Krankenversicherung zu haben. Und es gibt Leute, die teilzeitbeschäftigt waren und im Alter hauptsächlich von anderen Einkommen leben.

In den kommenden Wochen wird über die Pensionserhöhung verhandelt. Was geben Sie den politischen Parteien mit?

Das Pensionssystem ist nicht geeignet für Umverteilung. Zuletzt war die gängige Praxis: Ich nehme es den Pensionisten weg, die viel ins System eingezahlt haben, um es denen zu geben, die wenig eingezahlt haben. Und die nicht einmal arm sind. Wenn sie arm wären, würden sie ja die Ausgleichszulage erhalten. Wir sprechen natürlich nicht von weiß Gott was für Beträgen bei ein paar Prozent Erhöhung. Das ist einfach eine Frage der Gerechtigkeit. Angesichts der ernsten Budgetsituation frage ich mich auch, woher der finanzielle Spielraum plötzlich kommt.

Hat Ihr Wort als Leiter der Alterssicherungskommission in der Regierung kein Gewicht?

Beim Thema Pensionen hat jede Regierung ihre eigenen Berater. Das Pensionssystem ist derart komplex, da kann man nicht verlangen, dass das jeder in seinen Tiefen versteht. Ein Politiker denkt gern von einem Jahr auf das andere. Aber wir müssen auch an die künftigen Generationen denken.

Ist das Pensionssystem langfristig finanzierbar?

Selbstverständlich, aber nur mit den richtigen Reformen. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen den Generationen. Was zahlen die Jüngeren ein und welche Leistungen dürfen sie dafür erwarten? Wir haben das Glück, älter zu werden, das bedeutet aber Mehrkosten für Gesundheit, Pflege und Alterssicherung. Stellen Sie sich darauf ein, dass sie bis 70 arbeiten werden. Irgendwann wird das kommen.

Soll das Pensionsantrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt werden?

Ja, das ist rein aus technischer Sicht notwendig. Aber das allein hilft gar nicht. Flankierend muss man schauen, dass die Menschen auch Arbeitsplätze haben, sonst erhöht man nur die Arbeitslosigkeit, und dem System ist nicht geholfen. Entscheidend ist, dass die Menschen so lang wie möglich im Erwerb bleiben können.

Welche Reformen empfehlen Sie noch für das Pensionssystem?

Man muss das System künftig differenzierter denken. Von einem Maurer kann man nicht verlangen, dass er bis 65 arbeitet, von dem einen oder anderen Angestellten schon. Ich persönlich bin heute arbeitsfähiger als vor zehn Jahren, aber als Beamter schon in Pension. Das ist nicht richtig. Die Frage ist, wie lang bleiben die Menschen im Erwerbsleben und nicht, wann gehen sie in Pension. Man muss verhindern, dass die Leute mit 50 Jahren krank sind, insbesondere psychisch, und in Frühpension gehen. Und man muss verhindern, dass Menschen aufgrund ihres Alters den Arbeitsplatz verlieren. Die beste Pensionsreform ist eine Reform der Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik, in der auch die Rehabilitation einen höheren Stellenwert hat.

Zur Person

Walter Pöltner leitet seit 2019 die Alterssicherungskommission. Der Jurist war viele Jahre Sektionschef im Sozialministerium und ab 22. Mai 2019 kurzzeitig selbst Sozialminister. Pöltner war früher SPÖ-Mitglied, ist aber ausgetreten.

(Presse Print)

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