Nachruf

Der solide Grundstein der Stones: Charlie Watts ist tot

Charlie Watts - seit 1963 Schlagzeuger der Rolling Stones - ist tot
Charlie Watts - seit 1963 Schlagzeuger der Rolling Stones - ist tot(c) Imago (Laci Perenyi)
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Charlie Watts war britisch, bescheiden, solide. Er liebte Jazz. Genau darum war er der beste Schlagzeuger für die Rolling Stones, die beste Rockband aller Zeiten – und blieb ihr treu. Nun ist er mit 80 Jahren an Krebs gestorben.

Charlie Watts kann wegen einer Operation nicht an der US-Tour der Rolling Stones im September teilnehmen, erfuhr man vor drei Wochen. Das kann nicht sein, dachte man: Die Stones ohne Charlie Watts, das geht nicht, kein anderer kann den Rhythmus zu diesem großartigen Rock'n'Roll-Zirkus schlagen. Nun hört man fassungslos: Er wird den Rhythmus nie wieder schlagen. Charlie Watts ist in einem Krankenhaus seiner Heimatstadt London seinem Krebsleiden erlegen.

Er war Urgestein, schon in der Gründerzeit, ein denkbar solider Kern für den wilden Männerbund, der sich 1962 aus blutjungen Bluesfanatikern in London gebildet hatte. Er war so solide, dass er zögerte, als ihn Mick Jagger, Brian Jones und Keith Richards für ihre Band anwarben. Er war schon ein bisschen älter, hatte gerade erst mit Selbstzweifeln Alexis Korners Band Blues Incorporated verlassen, und eigentlich war er ja Grafiker, eigentlich galt seine Liebe dem Jazz.

Dieser Liebe ist er treu geblieben, auch als Stones-Schlagzeuger, und das ist – oder muss man schon sagen: war? – ein Grund für die Einzigartigkeit dieser Band. Wenn sie die „Greatest Rock'n'Roll Band On Earth“ war – und wer sollte das sonst sein? –, dann weil sie ursprünglich gar keine Rockband war. „Charlie Watts ist im Grunde ein Jazz-Schlagzeuger, was bedeutet, dass der Rest der Band in gewisser Weise eine Jazzband ist“, sagte Keith Richards einmal.

Sein Beat swingte subtil

Tatsächlich: Der Beat der Stones swingte mindestens genauso, wie er rockte. Er war bei aller Aggressivität subtil, wie Mick Jaggers Texte. Nie schwer, nie pathetisch. 2000 Lichtjahre von Metal entfernt. Man höre, wie Charlie Watts in „Paint It Black“ quasi im Gegentakt einsteigt, wodurch sich ein eigentümlich steter und zugleich unsteter Shuffle ergibt, passend zur dunklen Gegenwelt des Liedes. Man höre den unglaublich lässigen Slop-Fox-Rhythmus auf „It's All Over Now“. Oder die Live-Version von „Sympathy For The Devil“ auf dem Album „Get Yer Ya-Ya's Out“: Die krachende Selbstverständlichkeit, mit der Watts sich hier zu Richards' erst einsamer Gitarre gesellt, hat schon immer zu Tränen gerührt. Jetzt natürlich erst recht.

Als die Rolling Stones um 1966, um es mit Jaggers Worten (aus „Have You Seen Mother, Baby“) zu sagen, in die „depths of decline“ des Londoner Underground glitten, war Charlie Watts nur mit distanziertem Grinsen dabei. Für das Album „Between The Buttons“ zeichnete er einen Cartoon von feiner Ironie, in einer Zeichnung sagt ein Mann mit Hut über die Stones: „You know, they ain't so bad after all.“ Er war solide, wie gesagt, er war seiner Frau Shirley, die er 1964 geheiratet hatte, mindestens genauso treu wie den Stones. Und während Mick Jagger sich immer schriller und gockeliger kleidete, besann sich Charlie Watts der grauen Anzüge seiner Jugend. Zeitlose Eleganz, schmale Revers, versteht sich. Savile Row.

Hausbesuch bei Mick Jagger

Einen solchen Anzug soll er auch gewählt haben, als Mick Jagger einmal am Telefon von ihm als „my drummer“ sprach: Er stattete ihm sogleich einen quasi formellen Besuch ab, sagte schon an der Tür schmallippig „I am not your drummer“ und versetzte dem eitlen Sänger einen Stoß, den sich dieser gemerkt haben soll. Vor allem, weil Charlie Watts ja durchaus nicht als Raufer bekannt war.

Bescheiden war er sowieso. In den Siebzigerjahren, als Kollegen wie Carl Palmer eine riesiges Arsenal von Instrumenten um sich aufbauten, hielt er sein Set schlank wie sich selbst, zwei Toms und vier Becken reichten ihm völlig, Gongs oder ähnlichen Firlefanz brauchte er sowieso nicht. Auch Schlagzeugsolos waren nichts für ihn, und wenn Jagger in der Runde der Musikervorstellungen ihn an die Rampe rief, lächelte er verlegen und unendlich sympathisch.

Combo mit Axel Zwingenberger

Sein Hobby blieb – neben den Pferden (Vollblutarabern), die er gemeinsam mit seiner Frau züchtete – der Jazz, den er, wie es seinem Wesen entsprach, recht konservativ interpretierte. In den Achtzigerjahren leitete er eine Bigband, 2009 schloss er sich der Combo The ABC&D of Boogie Woogie an. C stand für seinen eigenen Vornamen, A für den deutschen Boogie-Pianisten Axel Zwingenberger. „Boogie ist die Basis des Rock'n'Roll“, erklärte er der „Presse“ anlässlich eines Wien-Konzerts bei einem Interview im Hilton, wo er auf die Frage des Kellners nach seinem Getränkewunsch still und bescheiden antwortete: „Tea, please. But not too strong.“

So war er. Britisch, unglamourös, wertkonservativ. „Solid as a rock“, mit diesen Worten schwärmte er – der so gar kein Schwärmer war – einmal von Ian Stewart, dem treuen Pianisten der Stones, der schon 1985 gestorben war. „Ich war bei der ersten Stones-Show, ich werde bei der letzten sein“, habe Stewart ihm einst gesagt, erzählte Watts – und man spürte, dass er das gern auch über sich selbst gesagt hätte, wäre es ihm nicht zu pathetisch gewesen.

„Ich hasse es, mein Heim zu verlassen“, sagte er einmal: „Ich liebe meinen Beruf, aber ich würde gern jeden Abend nach Hause gehen.“ Dennoch war er immer zur Stelle, wenn Jagger und Richards ihn zur Tour riefen. Er wäre auch im September zur Stelle gewesen. Nun müssen sie ohne ihn auskommen. Kein Charlie mehr hinter ihnen: Sie können es sich gewiss noch gar nicht vorstellen. Wir können es auch nicht.

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