Konzertfilm

Billie Eilish wäre die traurigste Disney-Prinzessin

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In einer Produktion für Disney+ gibt der Popstar gemeinsam mit dem Los Angeles Philharmonic unter Gustavo Dudamel ein Konzert, das es so gar nicht geben kann - und geistert als Zeichentrickfigur durch L.A.

Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis Billie Eilish, der größte Popstar unserer Tage, zur Disney-Figur würde. Als Prinzessin wäre sie die traurigste von allen. Selbst als Zeichentrickfigur hat sie die stechend blauen Augen nur halb geöffnet, so als wollte sie dem Kindchenschema trotzen, das man ihr verpasst hat. In weiter beiger Bluse und mit wallendem blonden Haar wandelt sie durch eine glänzende, real gefilmte Welt, fetzt im Cabrio durch nächtliche Straßen, schaut von Aussichtswarten hinab auf ihr Los Angeles, in dem ihr animiertes Antlitz gar nicht so fremd wirkt – und steigt schließlich die leeren Ränge der Hollywood Bowl hinab, wo die echte, leibhaftige Billie Eilish nur für sie singt.

So viel zum Disney-Faktor des Konzertfilms „Happier Than Ever: Ein Liebesbrief an Los Angeles“, der am Freitag auf dem Streamingdienst Disney+ erscheint. Wobei der Fokus der Produktion mehr auf Film als auf Konzert liegt. Zwar singt Billie Eilish in der ikonischen Freilichtbühne inmitten der Hollywood Hills, begleitet von einem Schlagzeug, ihrem Bruder und Songwriter Finneas an wechselnden Instrumenten, ihr gesamtes Album – doch findet das nicht nur ohne jegliches Publikum statt, sondern entzieht sich auch den Regeln von Zeit, Raum und organisatorischer Machbarkeit. Es ist ein Konzert, das so nie stattfinden könnte.

Selbst die Sonne fügt sich

Was Billie Eilish nicht davon abhält, diese Fantasie fest zu behaupten. Mit sanfter Stimme führt sie durch das Programm, zaubert beiläufig mehrmals das Los Angeles Philharmonic Orchester mit seinem Dirigenten Gustavo Dudamel auf die Bühne und lässt es wieder verschwinden. Sogar die Gestirne kontrolliert sie und lässt es zwischendurch Tag und wieder Nacht werden. Inszeniert hat den Reigen der Filmregisseur Robert Rodriguez („From Dusk Till Dawn“, „Sin City“), der für sein schnörkelloses, lustvoll exzessives, gerne auch mit Tex-Mex-Kolorit versetztes Pulp-Kino bekannt ist.

Hier verleiht er der verträumten Melancholie, die Eilish ausstrahlt, flirrende Bilder. Die Szenen, in denen sich Eilish als Zeichentrickfigur (vom oscarprämierten Animationskünstler Patrick Osborne) durch ein von Palmen gesäumtes L. A. bewegt, ziehen sich durch den ganzen Film. Der orange Himmel, der sehnsüchtige Blick nach oben, die Lichtstreifen im Autobahntunnel, durch den die animierte Billie rast: All das verschmilzt kunstvoll mit dem Bühnengeschehen. Rastlos dreht sich die Kamera um die Musiker (auch das wäre in einer realen Konzertsituation wohl nicht möglich), schleicht sich in Bodenhöhe an sie heran, fängt ihre Schatten ein, die im Bühnenlicht tanzen wie böse Märchenfiguren.

Eigentlich singt sie nur für sich

Eilish selbst bewahrt dabei festen Stand in ihren Plateauschuhen, ihren Schlaghosen und der langen weiten Seidenbluse. Ihre musikalisch diversen Songs singt sie, als wäre es das Einfachste auf der Welt. Vielleicht auch, weil sie es hier, im leeren Amphitheater, praktisch nur für sich tut. Der introspektive Charakter des Openers „I'm getting older“ hält bis zuletzt an: Vielleicht gäbe es gar keinen besseren Rahmen, um dieses Album zu präsentieren, das viel von Selbstliebe und mentalem Wachstum handelt.

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In diesem Sinne haben auch die koketten Blicke, die Eilish beim pulsierenden „Oxytocin“ (in dem Gott, eine Frau, ins Liebesspiel einbezogen wird) in die Kamera wirft, keine aufreizende Funktion. Ein rotes Lichtgewitter vermittelt ekstatische Nachtclubstimmung. Feierlicher geht es in „Goldwing“ zu, bei dem Eilish von ihrem einstigen Jugendchor unterstützt wird. Dudamels Orchester unterstreicht die Melodien mit nobler Zurückhaltung. Erst im frechen „I Think Therefore I Am“ tobt es sich aus – und lässt, angefangen mit einem Pizzicato-Thema und herausplatzenden Bläsern, langsam Donner aufziehen.

Die Spannung entlädt sich in „Happier Than Ever“ in einer Zeile, die Tausendschaften von Fans wohl gerne mitjohlen würden. „You made me hate this city“, wirft Eilish einem unbekömmlichen Expartner an den Kopf. Aber man ahnt: So weit kann es nicht kommen, auch wenn die Beziehung der 19-Jährigen zu ihrer Heimatstadt vielleicht kompliziert ist. Ihr filmisch-musikalischer Liebesbrief ist jedenfalls sehenswert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2021)

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