Taliban

Wie soll man Afghanistan helfen?

An Unis in Afghanistan kommt die Geschlechtertrennung
An Unis in Afghanistan kommt die Geschlechtertrennung(c) imago images/Le Pictorium (Adrien Vautier / Le Pictorium via www.imago-images.de)
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In Genf tagt heute eine Konferenz über humanitäre Hilfe für das Land. Die Befürchtungen nach dem Sieg der Taliban werden wahr. An Unis kommt die Geschlechtertrennung.

Kabul/Paris/Genf/Wien. Knapp einen Monat nach der Rückkehr der Taliban an die Macht erfüllen sich negative Erwartungen in weiten Teilen der Welt an deren Regime, während über den Umgang mit den Islamisten beraten wird. An den Unis werde es wieder getrennten Unterricht für Frauen und Männer geben, hieß es am Sonntag aus Kabul. Auf einer UNO-Geberkonferenz in Genf soll derweil heute, Montag, beraten werden, wie es mit humanitärer Hilfe für die Bevölkerung weitergeht. Viele Länder sind dazu bereit, knüpfen daran aber Bedingungen.

Ziel des Treffens in der Schweizer Stadt – teils „real“, teils „virtuell“ per Teleschaltung – ist, den Hunger in Afghanistan zu bekämpfen und das öffentliche Leben vor dem Kollaps zu bewahren. UN-Organisationen haben einen Finanzbedarf von 510 Millionen Euro bis Dezember angemeldet. Millionen Afghanen (geschätzt 40 Millionen Einwohner) sind nach vier Jahrzehnten Krieg und internen Konflikten von Hilfe abhängig.

Islamisten in Dollar-Nöten

Die Lage ist für die neuen Herrscher insofern prekär, als sich der Großteil der afghanischen Devisenreserven in Milliarden-Dollar-Höhe im Ausland befindet, dort „eingefroren“ worden ist und dem Zugriff der Taliban entzogen ist. UN-Generalsekretär António Guterres hatte jüngst angedeutet, ob man nicht „gewisse Finanzinstrumente im Ausland“ zugunsten der Bevölkerung einsetzen könnte. Ohne Geld und Handel würde laut Beobachtern die rudimentäre afghanische Wirtschaft, vor allem aber der Staatsapparat bald funktionsunfähig werden.
Bei der Geberkonferenz wird Österreich vertreten sein, durch Frauen- und Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP). Im Vorfeld betonte das Ministerbüro, es gehe primär um eine „lebensrettende Operation vor Ort, Versorgung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten, Wasser“ sowie die Schaffung sicherer Zufluchtsorte im Land und der Region selbst. Vor allem sorge man sich um die Frauen und jungen Mädchen.

„Die Taliban lügen“

Die Übergangsregierung der Taliban (33 Minister) besteht unterdessen nur aus Mitgliedern der Organisation, fast alle sind von der Volksgruppe der Paschtunen, zudem ist keine Frau im Kabinett. Frankreichs Außenminister, Jean-Yves Le Drian, warf den Taliban vor, zu lügen: „Sie sagten, sie würden einige Ausländer und Afghanen frei ausreisen lassen, und sprachen von einer integrativen und repräsentativen Regierung. Aber sie lügen“, wetterte er in der Nacht auf Sonntag im TV-Sender France 5. In Afghanistan hielten sich noch einige Franzosen sowie Hunderte Afghanen mit Frankreich-Konnex auf. Paris hat bisher rund 3000 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen und deswegen auch „technische Gespräche“ mit Taliban geführt.

Man weigere sich, die neue Regierung anzuerkennen, so Le Drian, und werde keine Beziehungen mit ihr unterhalten. Es liege an den Taliban, zuerst positive Zeichen zu setzen. Immerhin brauchten diese trotz ihres Sieges „eine wirtschaftliche Atempause und internationale Beziehungen“.
Zumindest in formaler Hinsicht wollen sich die Taliban unterdessen eine Spur geordneter, ja fast international zeigen: Ihre Kämpfer sollen künftig ordentliche Uniformen mit Rangabzeichen tragen, so wie auch die anderen Kräfte der Polizei, der neuen Armee und sonstiger Sicherheitsdienste. Das sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mujahid am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Bisher sind die Taliban in Räuberzivil oder traditioneller Stammeskleidung und mit Sandalen unterwegs. Viele Sicherheitskräfte der untergegangenen Republik fürchten Vergeltungsaktionen. Die Islamisten versprachen zwar eine Generalamnestie für sie sowie andere Beamte und Justizbedienstete. Es mehren sich aber Berichte über Verbrechen und Racheakte an ihnen.

Frauen-Demo für Regierung

Am Wochenende demonstrierten Dutzende Frauen für die Regierung. Sie zogen übers Gelände einer Universität und in einen Hörsaal. Viele waren extrem verschleiert, mit bodenlangen schwarzen Gewändern und kapuzenähnlichen Kopfbedeckungen, die auch die Gesichter abschirmten. Der Marsch wurde von Taliban begleitet, über seine Freiwilligkeit darf gerätselt werden.

An Unis werde es getrennten Unterricht für Frauen und Männer geben, sagte der Minister für höhere Bildung, Abdul Baghi Haqqani. „Koedukation steht im Widerspruch zu den Grundsätzen des Islam sowie zu nationalen Werten, Sitten und Gebräuchen.“ Für Studentinnen wolle man Dozentinnen einstellen; Männer dürften Frauen unterrichten, falls die Scharia beachtet werde. Dazu zähle islamisch korrekte Kleidung.
Die Taliban hatten schon 1996 bis 2001 mit einer strikten Auslegung des islamischen Rechts regiert. Frauen und Mädchen hatten kaum Rechte, Vollverschleierung bis hin zur Burka war üblich, ebenso etwa die Trennung in öffentlichen Badeanstalten. (wg./ag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2021)

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