Samos

„Wir werden unschuldig in ein Gefängnis gebracht“

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GREECE-MIGRANTS-FRANCE-ATTACKS-TRIALAPA/AFP/THEOPHILE BLOUDANIS
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Die Eröffnung des ersten neuen Flüchtlingslagers auf der Insel Samos fernab der Zivilisation verdeutlicht die Asylpolitik, die sich in Europa mehr und mehr durchsetzt.

Das neue Flüchtlingscamp liegt in einem abgeschiedenen Bergtal, knapp zweieinhalb Stunden Fußmarsch von jeglicher Infrastruktur entfernt. Rund um das von einem Stacheldrahtzaun umgebene Lager können auf einer Sandstraße Autos patrouillieren. Bäume, Wiesen, kleine Märkte oder andere Erholungsmöglichkeiten sucht man hier vergeblich. Eher erinnert die Siedlung für rund 3000 Menschen an ein Gefängnisareal. Die Container stehen dicht an dicht, pro Wohneinheit sollen vier bis fünf Flüchtlinge untergebracht werden. Besonderen Schutz für oft sexuell missbrauchte Frauen mit kleinen Kindern gibt es nicht. All das berichtet die medizinische Projektleiterin von Ärzte ohne Grenzen auf Samos, Daniela Steuermann, im Gespräch mit der „Presse“. Am morgigen Samstag soll das Lager auf der östlichen Ägäisinsel eröffnet werden, weitere Einrichtungen dieser Art auf Chios und Lesbos werden in den kommenden Monaten folgen.

Der Bau der Flüchtlingscamps leitet eine neue Asylpolitik in Europa ein, die vor allem einen Zweck hat: Abschreckung. Besonders die konservativ geführte griechische Regierung hat den Grenzschutz zuletzt stark ausgebaut und schreckt Berichten zufolge auch vor Pushbacks – also illegalen Zurückweisungen auf hoher See – nicht zurück. Athen bestreitet das: Die Beamten handelten im Einklang mit den europäischen Vorschriften, heißt es. Seit die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen haben, wird ein sprunghafter Anstieg der Flüchtlingszahlen befürchtet: Rund eine Million Menschen könnten in Griechenland um Schutz ansuchen, rechnet die Regierung vor.

Menschen auf sich allein gestellt

Im Laufe des vergangenen Jahres wurde ein Großteil der über 40.000 auf den Ägäis-Inseln befindlichen Asylwerber nach Athen geholt. Viele von ihnen, darunter hauptsächlich Syrer und Afghanen, haben einen positiven Bescheid erhalten und sind nun bei der Suche nach Arbeit und Wohnort auf sich allein gestellt. Integrationsprogramme oder andere Hilfestellungen gebe es nicht, so Steuermann. Einige andere EU-Länder nahmen Schutzbedürftige aus den Ägäis-Lagern mittels Resettlement auf: Deutschland etwa flog nach dem Brand von Moria auf Lesbos knapp 3000 Menschen aus. Die heimische Regierung will keine Flüchtlinge aus Griechenland holen. Im EU-Vergleich zähle Österreich bereits zum Spitzenfeld bei Asylanträgen, verlautet aus der ÖVP.

Nach wie vor befinden sich mehr als 6000 Menschen auf den Ägäis-Inseln, etwa ein Viertel von ihnen sind afrikanischer Herkunft. Die meisten haben keine Aussicht auf Asyl und werden nun nach und nach in die neuen Lager umgesiedelt. Von dort sollen sie in die Türkei abgeschoben werden. Doch das Vorhaben stockt: Derzeit will Ankara keine abgewiesenen Asylwerber aus Griechenland zurücknehmen und pocht stattdessen auf eine Aktualisierung des 2016 geschlossenen Flüchtlingspakts mit der EU.

Frust und Hoffnungslosigkeit

Seit sich die Kunde über den Umzug in das neue Lager herumgesprochen hat, dominieren im Camp auf Samos Hoffnungslosigkeit und Frust.„Wir haben nichts getan und werden in ein Gefängnis gebracht.“ Diesen Satz höre sie in letzter Zeit oft, erzählt Steuermann. Selbstverletzungen, Suizidversuche, Selbstaggressionen, Depressionen sowie Angststörungen hätten unter den Migranten stark zugenommen. Ärzte ohne Grenzen ist deshalb mit drei Psychologinnen und einem Psychiater vor Ort – Helfer, die dringend benötigt werden.

Unklar sei nach wie vor, ob die Bewohner der Containercamps überhaupt Ausgang haben werden. Schon länger warnen Hilfsorganisationen davor, dass die neuen Lager darauf abzielten, die Bewegungsfreiheit der Migranten einzuschränken und den Zugang für Helfer zu erschweren.

In der unmittelbaren Umgebung des neuen Lagers aber ist an Erholungs- oder Einkaufsmöglichkeiten ohnehin nicht zu denken. „Die Menschen hier“, sagt Steuermann, „haben keine Freiheiten mehr, keine Möglichkeit, ans Wasser zu gehen und so zumindest irgendetwas für ihre psychische Gesundheit zu tun.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2021)

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