Zu viele Ausgaben für gestern, viel zu wenige für die Zukunft

Gerade angesichts der Budgetknappheit sollte überlegt werden, wie Österreich 2030 aussehen soll und was man dafür zahlen will.

Österreich ist eines der erfolgreichsten und reichsten Länder der Welt, unter den Top Five in Europa, unter den Top Ten der Industrieländer, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen. Und Österreichs Position wird noch besser, wenn man Sozial- und Umweltindikatoren einbezieht.

Österreich hat aber nur eine mittlere Position bei Zukunftsausgaben. Im Bereich Bildung liegen die Ausgaben im Mittelfeld, mit leicht sinkender Tendenz und mit großen Umsetzungsdefiziten. Im Pisa-Rating liegt Österreich um Platz 20. Die Zahl der Universitätsabsolventen liegt im europäischen Schlussfeld.

Kinder von AkademikerInnen studieren, Arbeiterkinder sehr viel weniger. Genderdifferenzen sind erheblich, Bildung ist vererbt wie in keinem anderen reichen Land.

Umweltausgaben standen traditionell weit oben auf der Agenda, Österreich verliert aber seit einigen Jahren immer mehr seine Spitzenposition und verfehlt die Kyoto-Ziele mit Bravour. Die Gesundheitsausgaben sind hoch, aber vor allem in kurative Medizin; im Präventionsbereich sind sie niedrig. Wohlstandskrankheiten und falsche Ernährung sind stärker verbreitet als in vielen anderen Ländern. Auch in der jungen Generation sind Dickleibigkeit, Alkohol- und Tabakkonsum häufig, mit stark steigender Tendenz.

Drei Schwachstellen

Im Bereich Forschung und Innovation liegt Österreich im vorderen Mittelfeld, weit entfernt von der Spitze in Schweden, Finnland, der Schweiz und Israel; Europa liegt generell hinter den USA. Österreich hat aber durch hohe Investitionen in den letzten zehn Jahren die Chance, in das Spitzenfeld vorzustoßen.

Das Innovationssystem ist generell auf den Aufholprozess abgestimmt, nicht auf die Spitzenposition, die Österreich heute ökonomisch einnimmt. Hohe Aufwendungen sind notwendig, um mittlere Ergebnisse zu erzielen. So liegt Österreich bei den Forschungsausgaben gemessen an der Wirtschaftsleistung an dritter Stelle, bei Indikatoren über den Innovationserfolg nur auf Rang acht.

Drei Schwachstellen im Bildungsbereich sollen hervorgehoben werden:
• Frühe Schultypentscheidungen machen das Erreichen der Matura mehr von der sozialen Herkunft abhängig als von Leistung und Berufswunsch; das ist ungerecht und ineffizient.
• Lange Studiendauer an den Universitäten und hohe Drop-out-Raten kosten Geld und frustrieren.
• Die getroffenen Studienentscheidungen führen dazu, dass in vielen Studienrichtungen jahrelange Praktika, Werkverträge, Projektmitarbeit die Regel sind. Letztlich wird ein Job akzeptiert, zu dem das Studium nicht nötig gewesen wäre. Gleichzeitig hat Österreich einen Mangel an StudentInnen für die Fachgebiete Mathematik, Information, Naturwissenschaft und Technik. Die Wahrscheinlichkeit, rasch oder nie einen Vollzeitjob im gewollten Studium zu bekommen, sollte bei den Studienentscheidungen mitberücksichtigt werden.

Das Erreichen der Wohlfahrtsziele in einem reichen Land ist nur möglich, wenn die Zukunftsausgaben steigen. Es lässt sich zeigen, dass die individuellen Einkommen und die Wertschöpfung der Wirtschaft von der Höhe der Zukunftsausgaben (etwa Forschung, Bildung) abhängig sind.

Wenn die Gesellschaft mehr für Hochschulen und Forschung ausgibt, so sind auch Effizienzreserven an Universitäten zu heben. Die Räumlichkeiten werden heute vier bis fünf Monate des Jahres nicht genutzt, moderne Lerntechniken werden nur vereinzelt eingesetzt, Vorlesungskritiken haben keine Konsequenzen, ebenso wenig wie der Nichtantritt bei Prüfungen. Forschungsarbeiten sollten stärker publiziert werden.

Die Drop-out-Raten im Studium liegen zwischen 35 und 40 Prozent. Eine Abschätzung der Fähigkeiten zu Studienbeginn würde helfen. Abwesenheit oder Nichterfüllung von Zielen sollte finanzielle Konsequenzen haben, auch für Lehrende.

Österreich wird 2025 nur weiter unter den Top-Five-Ländern sein, wenn es bei allen Zukunftsfaktoren vorneliegt, und zwar im Ergebnis, in der Produktivität, nicht nur im Input und in den Kosten. Dafür müssen Weichen für eine Spitzenstrategie in Zeiten knapper Budgets gestellt werden. Jetzt die Mittel einzufrieren heißt den Anschluss verlieren. „Stop and go“ funktioniert nicht, weil die Absorptionsfähigkeit des Innovationssystems nicht mit Knopfdruck verändert werden kann.

Bei Durchforstung der vergangenen Prioritäten gibt es auch in Zeiten der Budgetknappheit expansive Finanzierung für Zukunftsausgaben. Ohne Expansionstrend verkrusten die Strukturen, die beharrenden Kräfte gewinnen, Reformen bleiben aus.

Das Ziel: Ein Zukunftsvertrag

Es wäre sinnvoll, gerade bei Budgetknappheit die Überlegungen zu forcieren, wie die österreichische Gesellschaft 2030 aussehen soll und welche Investitionen dafür notwendig sind. Das könnte zu einer Art Zukunftsvertrag führen, in dem die Bildungs- und Forschungsstruktur unter Einbezug der Lernenden und Lehrenden, aber insbesondere der Jugend, festgeschrieben wird.

Ein zukunftsorientiertes System würde mehr Mitbestimmung, aber auch mehr Mitverantwortung der Jugend, der Studierenden und ihrer Vertretung erfordern, eine Balance aus individuellen Wünschen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten. Gerade die Gruppe mit den höchsten Lebenseinkommenserwartungen ist gefordert, hier aktiv und nicht nur eigennützig mitzugestalten.

Die öffentliche Hand kann und soll mehr Mittel als bisher zur Verfügung stellen. Diese müssen aber angesichts der hohen Steuer- und Abgabenquote und der zusätzlichen Anforderungen an den Staat für Pflege, Umwelt, Alterung aus einer Durchforstung der bestehenden Aufgaben oder aus höherer Effizienz kommen.

Die Mittel gezielter verwenden

Österreich sollte mehr zur Verbesserung der längerfristigen Lebensbedingungen tun. Dafür sind mehr Zukunftsausgaben, aber auch eine gezieltere Verwendung von Mitteln in den Bereichen Bildung, Forschung, Umwelt und Gesundheit notwendig. Österreich hat ein hervorragendes Wirtschaftsergebnis, gemessen am Einkommen pro Kopf, fast noch mehr nach weiteren Wohlfahrtsindikatoren. Aber Österreich gibt wenig für die Zukunft und viel für die Vergangenheit aus. Entscheidungen fallen nicht nach strategischen Überlegungen.

Wenn Österreich während der Phase der Budgetkonsolidierung die Zukunftsausgaben vernachlässigt, dann wird es weder Budgetkonsolidierung erreichen noch die gegenwärtige Wohlfahrtsposition erhalten können.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Person

Karl Aiginger (*23.10.1948) ist seit 2005 der Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) und Gastprofessor an mehreren Unis.

Der abgedruckte Text ist ein Auszug aus dem Vortrag, den Aiginger am Dienstag auf der Universitätsversammlung in Wien gehalten hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2010)

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