Deutschland

Wenn ein Streit um die Maskenpflicht eskaliert

(c) REUTERS (ANNKATHRIN WEISS)
  • Drucken

Ein 49-jähriger Software-Entwickler erschießt einen Studenten, nachdem dieser ihn gebeten hatte, eine Maske aufzusetzen. Wurde der mutmaßliche Mörder in den Online-Netzwerken der Coronagegner radikalisiert?

Es ist Samstag um 19.42 Uhr, als Mario N. die Tankstelle betritt. Er geht zum Regal, nimmt zwei Sechser-Packs heraus, geht damit zur Kasse und stellt das Bier ab. Auf den Bildern der Überwachungskameras ist zu sehen, wie er danach mit dem Tankstellenverkäufer, einem 20-Jährigen Studenten, spricht.

Mario N. trägt keine Maske. Der Verkäufer weist ihn darauf hin, weigert sich, ihm das Bier zu verkaufen. Der 49-jährige N. wird wütend, lässt sein Bier stehen und hebt beim Hinausgehen drohend die linke Faust.

So beginnt ein mutmaßlicher Mordfall, der Deutschland seit vier Tagen in Atem hält. In dessen Zentrum die Frage steht, welche Schäden die eineinhalb Jahre dauernde Coronapandemie in manchen Teilen der deutschen Gesellschaft zurücklassen wird.

Denn um 21.25 Uhr – etwas mehr als eineinhalb Stunden nach dem ersten Streit – ist Mario N. wieder da. Diesmal trägt er eine Maske, ähnlich jenen, die in Operationssälen verwendet werden. Er geht zum Regal. Nimmt wieder Bier. Stellt es auf den Tresen. Dann klemmt er die Maske unters Kinn.

Es ist wohl als Provokation gedacht, als Trotzreaktion. Als der Student daraufhin wieder mit ihm zu diskutieren beginnt, zieht Mario N. einen Revolver, so steht es in einer Aussendung der Polizei. Er zielt auf den Kopf, drückt ab, sein Opfer ist auf der Stelle tot. Dann verlässt er die Tankstelle zu Fuß.

Täter wollte „Zeichen“ setzen

Am Sonntagmorgen stellt sich der 49-jährige Deutsche, der als Software-Entwickler arbeitet und nur zehn Minuten Autofahrt vom Tatort entfernt in der 31.000-Seelen-Stadt Idar-Oberstein, Bundesland Rheinland-Pfalz, wohnt. In seinem Haus finden die Ermittler schließlich weitere Waffen und Munition, für die N. keine Registrierung hatte. Woher die Waffen stammen, war am Mittwoch noch unklar. Genauso wie eine endgültige Antwort auf die Frage, warum dieser Mann an einem weitgehend ereignislosen Samstagabend beschloss, einen Menschen zu töten.

N. soll gegenüber seinem Rechtsanwalt gestanden und erklärt haben, er wollte mit seiner Tat ein „Zeichen setzen“. Er habe sich in eine Ecke gedrängt gefühlt. „Dabei schien ihm auch das Opfer verantwortlich für die Gesamtsituation, da es die Regeln durchgesetzt habe“, sagte Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann bei einer Pressekonferenz am Montag.

Die „Gesamtsituation“, das ist die Pandemie, die unzähligen Verhaltensregeln, zu denen auch das Maskentragen gehört. N. könnte ein „Querdenker“ gewesen sein, ein Skeptiker, was die Existenz der Pandemie betrifft. Das sagen seine Nachbarn, die in den vergangenen Tagen von Journalisten befragt wurden. Das mutmaßen auch Social-Media-Analysten, die ein Twitter-Konto des 49-Jährigen ausfindig gemacht haben wollen. Er habe Links der rechten AfD gut gefunden, habe sich als enttäuschter CDU-Wähler bezeichnet.

Likes für Sucharit Bhakdi

Die deutsche „Zeit“ klickte sich durch N.s Profil auf der Plattform LinkedIn und stieß auf Likes für die umstrittenen Thesen von Sucharit Bhakdi. Der umstrittene Mediziner und Bestsellerautor stand im Zentrum der Sendung „Corona-Quartett“ des österreichischen Fernsehsenders ServusTV.

Die deutschen Ermittler kündigten am Mittwoch an, sich mit N.s sozialen Kontakten im Internet beschäftigen zu wollen. Beim Verfassungsschutz – der die „Querdenker“-Szene beobachtet – ist der 49-Jährige nicht bekannt. Stefan Kramer, oberster Verfassungsschützer des Bundeslandes Thüringen, gibt sich trotzdem wenig überrascht. Er warne schon länger vor dem „Eskalationspotenzial“ der Szene, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.