Ein Beethoven der Geräusche

Hanno Millesis Roman „Der Charme der langen Wege“ ist ein tragikomischer Abgesang auf jene Menschen und Dinge, die unwillkürlich aus der Zeit fallen.

Die Goldene Ära der Kinematografie brachte nicht nur Filmjuwelen hervor, sondern auch interessante Berufe. Einen solchen hat der tragische Held in Hanno Millesis neuem, für den Österreichischen Buchpreis nominiertem Roman „Der Charme der langen Wege“ ergriffen. Er arbeitete als Geräuschemacher. Auslöser für dieses seltene Talent war das Klangerlebnis beim Zusammensturz einer Brücke. Es machte aus dem orientierungslosen Lambert den erfolgreichen Bert, der fortan in einem Tonstudio am Stadtrand Filme mit Hörerlebnissen ausstattete.

Das Grundprinzip war stets die Imitation, also „bei der Inszenierung des für einen bestimmten Gegenstand charakteristischen Geräusches eben diesen Gegenstand nicht einzusetzen“. So ließ Bert zerplatzende Weintrauben wie Maschinengewehrsalven klingen („Das Massaker am Red Globe“), imitierte mit Mehl und Reis auf Styropor das Knistern einer Eislandschaft oder inszenierte mit Küchenreibe und Schneebesen das Lärmspektrum eines ganzen Sägewerks. Sprühdosen und Zerstäuber nahmen gar „die vorderen Ränge unter Berts liebsten Instrumenten ein“. Der Erfolg wäre nicht möglich gewesen ohne seinen Adoptivbruder, den Tontechniker Sindy, eigentlich Sandip, sowie das Mehrspuraufnahmegerät Modell DX-8-80T. Doch mit dem technischen Fortschritt, allem voran dem Computer („Ein Orchester der Zahlen anstatt der Sachen“), wurden die analogen Fähigkeiten von „Sindy & Bert“ nicht mehr gebraucht, und die einstigen Partner gingen getrennter Wege.

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