Konjunkturentwicklung

Wachstum 2022 niedriger als in diesem Jahr

Das Tempo des dynamischen „Corona-Rebound“ lässt nach und das globale BIP wächst in 2022 weniger stark.

Die Coronapandemie hat die Wirtschaft kurzfristig lahmgelegt, aber der Schock wurde schnell überwunden, viele Betriebe erholten sich und es kam ökonomisch wieder zu einem Aufschwung. Die große Frage, die jeden Unternehmer brennend interessiert: Wie lange hält der Aufschwung? Bei der Mittelstandstagung hatte Sylvia Hofbauer von der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien AG, Gruppenleiterin Volkswirtschaftliches Service/Treasury, die Antworten parat und gab einen Konjunktur- und Finanzmarktausblick auf das Jahr 2022.

»„Ein großer Teil des Preisdrucks kommt aus dem Energiesektor, aber mittlerweile ist die Inflation in allen Gütergruppen angekommen.“«

Sylvia Hofbauer, Volkswirtin RLB NÖ-Wien

Die gute Nachricht: Der Aufschwung hält weiterhin an. Die weniger gute: Der Aufschwung verliert an Dynamik. „Das Wachstum in 2022 liegt zum Teil deutlich unter jenem von 2021“, sagte Hofbauer. Dazu liegen einfach zu viele Stolpersteine im Weg, wie etwa steigende Preise und Engpässe in den Lieferketten.Die Finanzexpertin brachte zur Veranschaulichung aktuelle OECD-Daten mit. Daraus geht hervor,  dass das BIP-Wachstum heuer vor allem in China, Türkei, Argentinien und Spanien überdurchschnittlich groß ist (in China + 8,5 Prozent). Im Durchschnitt liegt das Plus bei 5,7 Prozent. Für 2022 prognostiziert die OECD ein Plus von „nur“ noch 4,5 Prozent. Hierzulande liegt das Wachstum bei vier Prozent. Laut WIFO-Prognose von Juni wurde für 2022 ein Plus von fünf Prozent vorausgesagt, die davon ausging, dass der Tourismus wieder in Schwung kommt. Da in Österreich der Tourismussektor wirtschaftlich so eine hohe Bedeutung hat, kann das Wachstum nächstes Jahr über jenem von 2021 liegen. Auch Deutschland erwartet für 2022 mehr Wachstum als 2021, weil die deutsche Industrie bereits heuer mit massiven Lieferkettenproblemen zu kämpfen hat. Beachtlich ist auch, dass laut den OECD-Prognosen das BIP-Wachstum 2022 vor allem in Indien auf knapp zehn Prozent ansteigen wird. Die OECD beklagt das insgesamt sehr unausgewogene Wachstumstempo. Für Hofbauer liegt der Grund auf der Hand: „Das unausgewogene Wachstumstempo ist auch auf die Durchimpfungsrate zurückzuführen. Jene Länder, in denen nicht genügend Impfstoffe vorhanden sind, werden länger benötigen, bis sie sich erholen. Länder mit hoher Durchimpfungsrate verzeichnen schneller ein Plus.“

Boomphase im Abschwung

Auch die Vorlaufindikatoren befinden sich in Europa in einem Abwärtstrend. Aus der Kurve der Einkaufmanagerindizes ist abzulesen, dass der Ausbruch der Coronapandemie zu großer Verunsicherung führte, es aber rasch zu einer allgemeinen Erholung kam. Die einzelnen Bereiche entwickelten sich unterschiedlich stark. „Die Industrie war rasch wieder in einem Hoch. Der Dienstleistungsbereich hingegen erfuhr nochmals einen Abwärtstrend und erholte sich spürbar langsamer“, so Hofbauer. Diesen Sommer kam es allgemein zu einer Stimmungsverschlechterung und auch im Industriebereich ging die Bewegungen wieder leicht nach unten. Gründe sind in der Industrie Lieferkettenengpässe, im Dienstleistungsbereich die Folgen der Coronamaßnahmen. „Die Werte für September signalisieren eine Verlangsamung der Wirtschaftsaktivität“, warnte Hofbauer vor einer drohenden Konjunkturdelle im vierten Quartal 2021. Der Preisdruck hält an. Eine große Mehrheit der Unternehmen zahlt gegenwärtig mehr für Vorprodukte. Viele davon geben die Kosten an ihre Kunden weiter und erhöhen die Verkaufspreise.

Andererseits ist die Stimmung bei den Konsumenten sehr gut. „Angesichts der Steuerreform mit weiteren Entlastungen werden die Konsumenten weiterhin gut gelaunt bleiben“, vermutet die Finanzexpertin. Zahlen aus einer Studie zu deutschen Konsumenten zeigen: Das Konsumentenvertrauen erzielt derzeit den höchsten Wert seit April 2020.

Gründe sind die steigenden Einkommenserwartungen durch eine verbesserte Situation am Arbeitsmarkt. Gleichzeitig wird nach der abgewendeten Coronapandemie nicht mehr so viel gespart.

Schreckgespenst Inflation

(c) Guenther Peroutka

Die Inflation führt zu einem steigenden Preisdruck. Laut Prognose der Deutschen Bundesbank kommt es bis Ende des Jahres zu einer Teuerung zwischen vier bis fünf Prozent in Deutschland. Deutschland hat eine Inflationsrate von 4,1 Prozent im September, die EZ eine von 3,4 Prozent. Auch das ist bereits der höchste Wert seit 2008 (Finanzkrise). „Ein großer Teil des Preisdrucks kommt aus dem Energiesektor. Die Rohstoffe werden teurer“, sagte die Volkswirtin und betonte gleichzeitig: „Mittlerweile ist die Inflation in allen Gütergruppen angekommen.“

Anfang 2022 rechnen die Experten mit einem Rückgang der Inflation, aber bis zur Jahresmitte wird sie wohl über zwei Prozent bleiben. „Der Kapitalmarkt blickt auf die Inflation. Die Gelassenheit der EZB wird auf die Probe gestellt, wenn aus der Inflationsrate weitere Steigerungen kommen.“ Das würde man dann auch an Zinsen und Renditen sehen.

Überraschend ist, dass die Notenbank künftig eher zu geringe Inflation befürchtet. Warum? „Die EZB erwartet, dass Lieferengpässe zügig behoben sein werden und dass eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale ausbleibt“, so Hofbauer.

Inflations-Kosmetik

Hofbauer ließ auch in die Notenbankpolitik einblicken und zeigte auf, was die EZB mit den Inflationsraten macht. „Die EZB verpasste sich ein neues Inflationsziel, was zur Folge hat, dass die Leitzinsen wohl erst später erhöht werden.“ Die rhetorische Korrektur ist nur minimal: Von „unter, aber nahe zwei Prozent“ verändert sich das EZB-Inflationsziel auf „exakt zwei Prozent“. Damit rückt die Zinswende weiter nach hinten. Ein weiterer Grund, dass eine Zinswende noch länger auf sich warten lassen wird: Die Notenbank hat viele neue Instrumente eingeführt, wie zum Beispiel Anleihenkaufprogramme.

Laut EZB sei eine verfrühte Straffung der Geldpolitik Gift für den Aufschwung. „Diesen Fehler hat man in der Vergangenheit gemacht und daraus gelernt.“ Trotzdem ist eine Bewegung bei den Renditen zu beobachten. Zwar bleiben die Geldmarktzinsen weitestgehend unverändert, Zinsanhebungen sind aber in weiter Ferne durchaus möglich. Bei den Renditen ist mit weiteren Anstiegen zu rechnen. Ein Treiber könnten Veränderungen in der US-Geldpolitik sein.

Hofbauer ging daher auch noch näher auf den Einfluß der US-Notenbank ein. Die US-Inflation bewegt sich auf höheren Niveaus, der Consumer Price Index (CPI) ist allerdings leicht rückläufig. „Die Erwartungen sind, dass die preistreibenden Effekte geringer werden.“ Laut der Finanzexpertin kommt die geldpolitische Wende in den USA früher als in Europa - mit dem sogenannten „Tapering“, also dem Zudrehen des Wasserhahns.

Ein Taperingbeschluss hat auch Auswirkungen auf den Aktienmarkt. Derzeit ist bei Aktien zwar klar ein Aufwärtstrend beobachtbar und eine bekannte Börsenweisheit lautet: The trend is your friend - aber ein Taperingbeschluss kann eine Trendwende bringen. „Wenn Renditen stark steigen, ist das auch Gift für den Aktienmarkt“, sagte Hofbauer in ihrem Aktienausblick. „Wo der Aufschwung in jedem Fall weitergehen wird, ist der Immobilienmarkt.“

Erwartungen für Eurozone

  • Dynamische Belebung des Wachstums im 2. Halbjahr 2021 infolge der Impfstoff-Kampagnen und darauf folgenden Aufholeffekten.
  • Abflachung des Wachstums in 2022.
  • Vorsicht vor Rückschlägen durch Impfstoffknappheiten und Mutationen bzw. generelle Wachstumsprobleme durch Lieferengpässe und Materialmangel auf Produktionsebene.
  • Inflation steigt 2021 an, bleibt aber auf die mittlere Sicht moderat und auch längerfristig wird die Wahrscheinlichkeit von starken Preissteigerungen gering eingeschätzt.
  • Allerdings klare Erwartung einer Vermögenspreisinflation statt klassischer Güterpreisinflation in den nächsten Jahren.
  • Gefahr einer Insolvenzwelle noch nicht gebannt.
  • Achtung auf Entwicklung der geldpolitischen und fiskalischen Liquiditätsflut, der Budgets/Staatsverschuldung und der Immobilienmärkte.
  • EZ-Leitzinsen bleiben in jedem Fall auf längere Zeit äußerst niedrig.

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