Diplomatie

"Herzensanliegen": Seine erste Reise als Außenminister führt Michael Linhart nach Sarajevo

APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER
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Für Österreichs neuen Chefdiplomaten steht die Aufnahme der Westbalkanländer in die EU eine Top-Priorität dar. Am Donnerstag und Freitag wird er Bosnien und Herzegowina besuchen, wo die innenpolitische Lage derzeit besonders brisant ist.

Österreichs am Montag angelobter neuer Außenminister, Michael Linhart, wird bereits morgen, Donnerstag, zu seiner ersten Mission aufbrechen. Sie führt den 63-Jährigen, der zuletzt Botschafter in Paris gewesen war,  nach Sarajevo, wo er neben dem ethnisch paritätisch besetzten dreiköpfigen Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina auch Außenministerin Bisera Turković sowie den Hohen Repräsentanten der UNO, den Deutschen Christian Schmidt treffen wird; und womöglich den Kommandanten der internationalen EUFOR-Bosnien-Schutztruppe, den österreichischen Generalmajor Alexander Platzer.

Im Vorfeld der Reise sprach der Karrierediplomat mit Vorarlberger Wurzeln von einem Besuch bei „unseren Nachbarn, Freunden, und hoffentlich auch in absehbarer Zeit Verbündeten innerhalb der Europäischen Union". Er werde nämlich das Engagement Österreichs für den Beitritt der Westbalkanstaaten zur EU „ungebremst fortführen", ließ Linhart wissen. „Das ist nicht nur eine österreichische Tradition, sondern ein Herzensanliegen und ein Schwerpunkt meiner Außenpolitik."

Einfluss Chinas, Russlands und der Türkei bremsen

Damit setzt der ÖVP-Minister die bisherige Linie der türkis-grünen Regierung fort, die sich stets als Mentorin einer Erweiterung der EU um die Staaten des Westbalkans (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien) präsentiert hatte. Hintergrund ist auch die Sorge, dass bei einer mangelnden oder schwindenden EU-Perspektive in diesen Ländern der Einfluss Chinas, Russland und/oder der Türkei weiter steigen könnte.

Im zu 45 Prozent muslimisch geprägten Bosnien-Herzegowina war zudem in manchen Landesteilen bereits während des Bosnien-Kriegs (1992-1995) und danach ein „starker Einfluss von gewissen arabischen Ländern und Salafisten" bemerkbar, wie etwa 2015 anlässlich eines Besuchs des damaligen Außenministers Sebastian Kurz (ÖVP) festgehalten wurde. Bedeutsam war insbesondere die Rolle Saudiarabiens, die sich nicht zuletzt durch die Finanzierung zahlreicher Moscheen bemerkbar machte. Im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Jihadismus ortete das Außenministerium (BMEIA) rund 700 „Foreign Fighter" auf nahöstlichen Kriegsschauplätzen, die aus dem Westbalkanstaat stammten.

Seit dem Friedensabkommen von Dayton 1995 besteht Bosnien-Herzegowina aus zwei Landesteilen: der Bosniakisch-Kroatischen Föderation und der Republika Srpska (Serbische Republik). Zahlreiche Entscheidungen können nur mit Zustimmung der drei Hauptvolksgruppen gefällt werden. Das komplizierte Staatsgebilde lähmt das Land.

Schwere Krise wegen Völkermord-Leugnungsverbot

Zudem machen sich die Spannungen zwischen den muslimischen Bosniaken, den katholischen Kroaten und orthodoxen Serben auch im Alltag bemerkbar. So nahm die Regierung im Juli einen Vorschlag von Außenministerin Turković von der bosniakisch dominierten Partei der Demokratischen Aktion (SDA) für einen landesweiten Trauertag in Erinnerung an die Opfer des Massakers von Srebrenica (1995) nicht an. Das Ansinnen wurde von vier Ministern der serbischen Seite nicht unterstützt. Seit Mittwoch ist zudem in der Republika Srpska die Leugnung von Völkermord wieder erlaubt. Der frühere internationale Bosnien-Beauftragte, der Österreicher Valentin Inzko, hatte kurz vor dem Ablauf seiner Amtszeit heuer im Juli per Dekret die Leugnung des Völkermords landesweit untersagt und strafbar gemacht. Im serbischen Landesteil wird das nun einfach ignoriert.

Auf Genozidleugnung waren Haftstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren vorgesehen. In der Praxis hätte sich das wohl primär auf den Völkermord von Srebrenica bezogen. In der ehemaligen ostbosnischen Moslem-Enklave waren von bosnisch-serbischen Truppen rund 8000 Menschen ermordet worden. Die Republika Srpska und auch der Staat Serbien lehnen es ab, das Massaker als Völkermord zu bezeichnen.

Den Vorsitz im bosnisch-herzegowinschen Staatsrat hat aktuell der ethnische Kroate Željko Komšic inne. Weitere Mitglieder sind der Bosniake Šefik Džaferovic und der Serbe Milorad Dodik.

Während das aktuelle EU-Vorsitzland Slowenien, Österreich und Deutschland die Westbalkan-Erweiterung nicht zuletzt aus wirtschaftlichem Interesse forcieren, ist sie anderen EU-Staaten wie Frankreich kein primäres Anliegen. Als besonders heikel gilt, dass die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien bereits seit rund einem Jahr von Bulgarien aus innenpolitischen Gründen blockiert wird - obwohl eigentlich bereits im März 2020 ein EU-Beschluss für den Start von Verhandlungen getroffen worden ist.

Wurzeln in Vorarlberg

Der 1958 in Ankara (Türkei) geborene Michael Linhart entstammt einer Diplomatenfamilie und machte nach der Matura in Feldkirch und dem Jusstudium in Salzburg und Wien seit 1986 im Außenministerium Karriere. Unter anderem bekleidete er Botschafterposten in Damaskus (Syrien), Athen (Griechenland) und zuletzt eben Paris. Da er 1995 bis 2000 im Kabinett des damaligen ÖVP-Außenministers und späteren Kanzlers Wolfgang Schüssel auch als außenpolitischer Berater wirkte, ist seine politische Heimat klar abgesteckt. Er leitete aber auch die Austrian Development Agency (ADA) und war ab 2013 als Generalsekretär ranghöchster Beamter im Außenministerium.

Unter FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl (2017-2019) wurde er durch Johannes Peterlik ersetzt. Der Rochade lagen dem Vernehmen nach auch persönliche Konflikte zugrunde. So klagte Kneissl in einem ihrer Bücher sinngemäß, Linhart habe sie bei einem früheren Engagement an der Botschaft in Syrien in einem Konsularfall im Stich gelassen.

Linharts jüngerer Bruder Markus war langjähriger VP-Bürgermeister von Bregenz (1998 bis 2020).

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