Volkstheater

Heller skalpieren, Khol köpfen, Glavinic pfählen?

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Heimische Promi-Männer werden wüst beschimpft und hingeschlachtet: Autorin Lydia Haider zieht uns in einen Ego-Shooter.

Andreas Khol, Gregor Bloeb, Stefan Gehrer, das ganze „Standard“-Forum, Jesus Christus, Blümchen/Kurz/Rafreider, Andre Heller oder auch einfach „der da so laut pfeift“ und „Das ganze Jazzer-Pack“: Sie und viele mehr, insgesamt über 40 Personen oder Kollektive vor allem aus der österreichischen Polit-, Medien- und Kunstszene werden im Volkstheater einer nach dem anderen mit wüsten Schimpftiraden bedacht und dann zu exotischen Todesarten verurteilt, die dann auch vor Publikum vollstreckt werden. Ja, mithilfe des Publikums.

Männer grausam sterben lassen – das ist offenbar das literarische Hauptprogramm der 36-jährigen Österreicherin Lydia Haider, die sich gern „Feminazi“ nennt und seit dieser Saison Hausautorin des Volkstheaters ist, aber auch an der Berliner Volksbühne einmal monatlich auftritt. In ihrem ersten Roman ging es jungen Männern an den Kragen, in ihrem zweiten Wirtsleuten. Auch die Erzählung „Am Ball“ ist voller Todesmartern, und 2020 gewann sie beim Klagenfurter Wettlesen den Publikumspreis mit einem Text, in dem ein Baby zerfleischt wird.

Was bringt uns also ihr Volkstheater-Einstand „Zertretung – 1. Kreuz brechen oder Also alle Arschlöcher abschlachten“, der erste Teil einer geplanten Trilogie? In der neuen kleinen Dunkelkammer (vormals „Plafond“ und „Schwarzer Salon) sitzen die Zuschauer wie in einem finsteren Mini-Amphitheater vor einer großen Videoleinwand. Die Bilder wechseln zwischen der Szenerie eines Ego-Shooters aus Perspektive des Spielers und Gesichtern der Beschimpften. Vor diesem wechselnden Hintergrund rezitieren drei Schauspielerinnen, maskiert und in pixelig gefärbte Kostüme gekleidet, abwechselnd den Bühnentext. Es sind Schimpftiraden, wüst, aber manieriert; Verkündigungen zwischen Kirche, erhabenem alten Burgtheaterdeutsch und literarischer Schimpfkunst in Bernhard-Manier. Sehr verklemmt wirken diese Figuren dabei, in sich verkrümmt statt mächtig und frei.

Ihre Opfer, Zielpersonen oder wie immer man sie nennen mag, erscheinen einer nach dem anderen auf dem Bildschirm, werden gewissermaßen verbal bekotzt und dann mit dem Todesurteil bedacht, beispielsweise: „Wird an Armen und Beinen genommen, geschwungen und – hauruck – über das Geländer auf die Gleise der U4 hinuntergeworfen.“ Oder: „Wird mit Rasenmäher übers Gesicht gefahren, liegengelassen zu verbluten.“

Anschließend werden ihre Stellvertreter im Computerspiel beschossen. Die sehen zwar in der Regel alle gleich aus – rote Overalls mit (ORF)-Bildschirmkopf –, aber es kann schon einmal passieren, dass man auf ein Gesicht zielt, oder ein Kreuz. Nichtsdestotrotz wird die Spielkonsole immer wieder von willigen Zuschauern (Mitspielern im doppelten Sinn?) bedient. Am schwersten zu erledigen ist der mit vulgären Blasphemien überschüttete Jesus Christus, ständig taucht wieder irgendwo ein Kreuz auf. Irgendwann heißt es aber doch „Level completed“.

Bachmanns „Todesarten“ – umgedreht

Selbst die Schimpfkünstler Handke und Bernhard werden hier gehäckselt. Lydia Haider ist ihre subversive Schülerin, man könnte aber auch sagen, dass sie Ingeborg Bachmann rächt und all das weibliche Leiden, das diese in ihrem „Todesarten“-Projekt beschrieben hat. Bei Haider trifft der Tod nun die Männer. „Männliche“ Gewalt – Stichwort Ego-Shooter – wendet sich gegen sie.

Ob man sich bei der Schmähung realer Personen in die Rolle des Voyeurs begeben will, muss sich jeder selbst überlegen. Um richtig zu provozieren, ist das alles jedenfalls zu künstlich (wäre es das nicht, müssten sich ohnehin Gerichte damit befassen); ja, auch zu grenzenlos in seiner Provokation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2021)

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