Bleiberecht: Seltsame Neuinterpretationen im Fall K.

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Innenministerin Fekter hat im Fall der Familie Komani das geltende Recht sehr unkonventionell ausgelegt und den VwGH zu Unrecht pauschal kritisiert. Einige Gegenthesen.

Wien. Die aufsehenerregenden Abschiebefälle der letzten Tage haben neben einer umfangreichen medialen Berichterstattung auch zu einem bemerkenswerten Streit über die Verantwortung für diese Fälle geführt. Wechselseitige Schuldzuweisungen zwischen Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung haben die Mängel der österreichischen Asyl- und Fremdengesetze offengelegt. Insbesondere die Behauptung, dass die Gesetze gut seien und Fehler in der Vollziehung sowie die lange Dauer der Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof für die nunmehr öffentlich gewordenen Probleme verantwortlich seien, kann nicht unwidersprochen bleiben.

Zweifellos sind die ständigen Novellierungen der Asyl- und Fremdengesetze, die von politischen Forderungen begleitet fast ausschließlich Verschärfungen sowie eine ständig wachsende Unverständlichkeit der Bestimmungen bewirkt haben, Hauptursache für die täglichen Schwierigkeiten im Vollzug. Wer sich aber die Mühe macht, die hunderten Seiten kritischer Stellungnahmen während der Begutachtungsverfahren zu lesen, wird leicht erkennen, dass es mehr als ausreichende Warnungen vor den nunmehr sichtbar gewordenen Auswirkungen gegeben hat.

Es wurden auch in den vergangenen Jahren mit dem Hinweis auf die gesetzlichen Voraussetzungen vergleichbare Fälle hingenommen, und selbst im Fall der Familie Komani wurde noch am Tag der Festnahme des Vaters und seiner beiden achtjährigen Töchter nach kurzer Nachdenkpause entschieden, dass deren Abschiebung rechtmäßig sei. Die mittlerweile – nach längerer Nachdenkpause, die durch unvorhersehbares Medieninteresse begünstigt wurde – vollzogene Kehrtwende der Innenministerin, die sogar zur Wiedereinreise der abgeschobenen Familie führte, kam daher mehr als überraschend. Sie bringt allerdings auch den unangenehmen Beigeschmack eines Gnadenaktes mit sich.

Beigeschmack eines Gnadenaktes

Zumindest ebenso erstaunlich wie die neue rechtliche Beurteilung des Falles fällt ihre Begründung aus. Entgegen der seit April 2009 üblichen Vollzugspraxis, wonach eine im Verfahren zur Gewährung des humanitären Bleiberechts eingeholte Stellungnahme der zuständigen Sicherheitsdirektion für die Niederlassungsbehörde bindend ist, soll nach nunmehriger Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen die Niederlassungsbehörde nach selbstständiger Würdigung des Integrationsfortschritts frei über die Gewährung des Aufenthaltstitels entscheiden. Diese Auslegung ist allerdings mit dem Gesetzeswortlaut schwer in Einklang zu bringen und widerspricht darüber hinaus der Rechtsansicht, wie sie auch von der Innenministerin als zweitinstanzlicher Niederlassungsbehörde in von ihr erlassenen Bescheiden vertreten wurde. Dass das Gesetz vorsieht, dass nur in Österreich aufhältigen Personen ein humanitärer Aufenthalt gewährt werden kann und anhängige Verfahren als eingestellt gelten, wenn der/die Fremde das Bundesgebiet verlassen hat, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt (§§43 Abs 2, 44 Abs 3 bis 5 und 44b Abs 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz).

Im gleichen Ausmaß irritierend wie die überraschende Neuinterpretation der maßgeblichen Rechtsgrundlagen durch die Innenministerin ist ihre undifferenzierte Pauschalkritik am Verwaltungsgerichtshof. Diese Kritik zeigt ein mehr als problematisches Verhältnis zur Gewaltentrennung auf. Allein die Behauptung, dass das „große Sorgenkind“ (so Fekter wörtlich) bei den Verfahren derzeit der VwGH sei, entbehrt jeglicher Grundlage, da der Gerichtshof seit Juli 2008 keine Prüfungskompetenz mehr in Asylverfahren hat. Ebenso unhaltbar ist der Vorwurf der „unverständlichen Sorglosigkeit, mit der die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde“. Gerade der VwGH hat nämlich durch seine Judikatur zum Asyl- und Fremdenrecht die Entscheidungspraxis maßgeblich gefestigt und Rechtssicherheit geschaffen. Dass diese häufig auch Aspekten des Unions- und Völkerrechts Rechnung tragende Judikatur sorgfältiger Ausarbeitung bedarf, sollte der gelernten Juristin Fekter ebenso klar sein wie der Umstand, dass Beschwerden bei drohenden unverhältnismäßigen Nachteilen für die Beschwerdeführer ungeachtet des möglichen Verfahrensausgangs die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist (§ 30 Abs 2 VwGG). Die politische Forderung nach juristischen Schnellschüssen könnte nur auf Kosten der Qualität der Entscheidungen erfüllt werden.

Zur Vermeidung weiterer Zuständigkeitsstreitigkeiten und den Rechtsstaat beschädigender Unterstellungen sollten rasch auf breitem Konsens beruhende, einheitliche und determinierte Richtlinien für Verfahren zur Zuerkennung humanitären Aufenthalts festgelegt werden. Um zukünftige Härtefälle auszuschließen, sollte klargestellt werden, dass Aufenthaltstitel auch dann erteilt werden können, wenn eine Ausweisung zulässig wäre oder sogar schon erlassen wurde. Diese Vorgangsweise erfordert keine sofortige Gesetzesänderung, da das Gesetz schon jetzt einen Ermessensspielraum vorsieht und somit eine Verpflichtung zur Ausweisung nicht besteht (§53 Fremdenpolizeigesetz) sowie bereits erlassene Ausweisungen durch Änderung der maßgeblichen Umstände oder Erteilung eines Aufenthaltstitels (§59 FPG) gegenstandslos werden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln an gut integrierte Menschen sind somit trotz berechtigter Kritik an fehlender Deutlichkeit bereits vorhanden. Ob humanitäre Erwägungen, wie von weiten Teilen der Bevölkerung erwünscht, zukünftig innerhalb des der Vollziehung eingeräumten Spielraums mehr Beachtung finden, ist daher eine Frage des politischen Willens.

Drin Julia Ecker ist Rechtsanwaltsanwärterin in Wien, Mag. Wilfried Embacher ist
Rechtsanwalt in Wien.

Auf einen Blick

Die achtjährigen Zwillinge Dorentinya und Daniella Komani wurden am 7. Oktober, kurz vor der Wien-Wahl, zusammen mit ihrem Vater in den Kosovo abgeschoben. Die Mutter verblieb in einem Spital. Vorigen Donnerstag durften die Kinder mit ihrem Vater zurück nach Österreich. Laut Innenministerin Maria Fekter habe man bemerkt, dass bei der Entscheidung über ein humanitäres Aufenthaltsrecht ein Fehler gemacht worden sei. Der Bescheid des Magistrats Steyr wurde aufgehoben. Die Stadt Steyr bestreitet die Vorwürfe Fekters. Die Komanis waren im
Jahr 2004 ohne Asylgrund nach Österreich eingereist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2010)

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