Unterwegs

Spuren des Widerstands in Brüssel

Gedenkstätte für Opfer des Holocausts in Brüssel.
Gedenkstätte für Opfer des Holocausts in Brüssel.(c) imago/Belga (KRISTOF VAN ACCOM)
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In Brüssel stolpert man allerorts über die Spuren des Widerstands gegen die Nazis.

Wir leben, um den Titel eines lesenswerten Büchleins von Martin Pollack zu zitieren, in kontaminierten Landschaften, doch zugleich ist diese Topografie des Grauens auch eine des Muts. Wenn ich hier in Brüssel zum Beispiel unsere Tochter in die Schule bringe, passiert unsere Straßenbahn 92 die Place Vanderkindere, auf der ein Stolperstein daran erinnert, dass in jenem Haus, in dem heute ein Bankfiliale ist, die Widerstandskämpfer Youra und Alexandre Livchitz ihre letzte Wohnung hatten, ehe sie 1943 an die Gestapo verraten und auf dem Gelände des Tir National hingerichtet wurden. Seit 1963 gibt es diesen einstigen Schießplatz der belgischen Armee nicht mehr, an seiner Stelle erheben sich die brutalistischen Betontürme des öffentlichen Rundfunks. Neulich war ich dort, um im Radio zu sprechen. Dass hier nicht nur die Livchitz-Brüder, sondern 30 Jahre vor ihnen unter anderem auch die tapfere britische Krankenschwester Edith Cavell ebenfalls von den Deutschen, wenn auch im Ersten Weltkrieg, ermordet wurde, fiel mir erst ein, als ich später mit dem Bus durch die Rue Cavell heimfuhr. Die 92er-Tram hält auch an der Redaktion von „Le Soir“, der größten Zeitung Belgiens. Die wurde 1940 gleichgeschaltet, eine fantastische Widerstandsgeschichte rankt sich um sie. Am 9. November 1943 erschien, in 60.000 Stück Auflage, an den Kiosken eine satirische Kopie des „Soir“, der sich über die Nazis lustig machte. Dieser „Faux Soir“ war von der belgischen Widerstandsfront heimlich produziert und gegen den echten ausgetauscht worden. Die Livchitz-Brüder jedoch konnten ihn leider nicht mehr lesen.

oliver.grimm@diepresse.com

Nächste Woche: Timo Völker

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2021)

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