Wenn man frisch verliebt ist, stört einen am Anderen natürlich noch gar nichts. Man findet es höchstens süß, dass ein so fehlerloses Geschöpf so tut, als wäre es ein ganz normaler Mensch.
Mit dem Schnarchen ist es so wie mit dem Rauchen. Es tötet einen nicht sofort, aber mit jedem Atemzug verkürzt man seine Lebenszeit. Wenn man frisch verliebt ist, stört einen am Anderen natürlich noch gar nichts. Man findet es höchstens süß, dass ein so fehlerloses Geschöpf so tut, als wäre es ein ganz normaler Mensch.
Nach ein paar Wochen, wenn man zum ersten Mal wieder an Dinge wie Arbeiten, Ausschlafen und Leistungbringen denkt, stellt man aber fest, dass das stete Säuseln am Schlafen hindert. Also stopft man sich heimlich Ohropax in die Ohren. Das merkt das fehlerlose Geschöpf gar nicht, weil es ja immer sofort einschläft. Sein Schlafgeräusch hingegen ist sehr munter. Es durchdringt problemlos jedes Ohropax. Für diese Fälle gibt es autogenes Training. Das ist ganz einfach, sagt die Entspannungs-App. Man denkt an nichts. Nicht an die Arbeit, nicht ans Ausschlafen, nicht ans Leistungbringen und schon gar nicht an das fehlerlose Geschöpf, das einen daran hindert. Die App hat es nicht dazugesagt, aber Ärger ist schlecht fürs autogene Training. Dafür umso besser fürs Wachliegen. Dabei hat man Zeit, über das fehlerlose Geschöpf nachzudenken. Dabei fällt einem auf, dass es überall seine Socken herumliegen lässt und seine Häferln nie in den Geschirrspüler räumt. Also rüttelt man am fehlerlosen Geschöpf und schreit es an: „Nur damit du’s weißt, ich bin nicht deine Putzfrau!“
Das fehlerlose Geschöpf blinzelt erschrocken, seufzt schwer und packt sein Bettzeug: „Ich geh ins Wohnzimmer“, sagt es und torkelt hinaus. „Ja, aber wieso denn?“, ruft man verzweifelt hinterher. „Du schnarchst“, nuschelt es zurück und schließt die Tür. Das ist die ärgste Frechheit, die ich je gehört habe. Ich habe noch nie geschnarcht! Ich schlafe ja nicht einmal!
("Die Presse Schaufenster" vom 22.10.2021)