Infrastruktur

Eine Frage der Balance

Energie, Logistik
Energie, Logistik(C) APG/ Mikes
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Um die Stromversorgung zu gewährleisten, muss das Netz permanent gesteuert, gewartet und ausgebaut werden. Ein Blackout käme die Volkswirtschaft teuer zu stehen.

Es war ein spektakulärer Hubschrauber-Einsatz, der von Pilot, Bodenkoordinator, Flughelfer und Leitungsmonteuren des Helikopterunternehmens Heli Austria Anfang Oktober erledigt wurde. Der Auftrag: Austausch von in die Jahre gekommenen Fliegerwarnkugeln auf einer bis zu 60 Meter hoch liegenden Starkstromleitung der Austrian Power Grid (APG). Die knallorangen Kunststoffkugeln machen Leitungen sichtbar, die von Flugrouten von Helikoptern, Sportfliegern oder Paragleitern gekreuzt werden. „Alle 20 Jahre müssen die Warnballons ersetzt werden, weil ihre Signalfarbe verblasst“, erklärt Philipp Bader die Notwendigkeit der Instandhaltungsmaßnahme. In seiner Funktion als Techniker am APG-Standort Ernsthofen hat Bader mit seinem Team die Arbeiten im Vorfeld vier Monate lang geplant und mit Partnern wie der Polizei, der Asfinag oder den ÖBB koordiniert.

Hoher Investitionsbedarf

Die präzise Planung war unter anderem deshalb notwendig, weil für den Kugeltausch eine wichtige Versorgungsleitung temporär abgeschaltet werden musste. Der Leitungsabschnitt zwischen den Umspannwerken in Dürnrohr und Kronstorf ist Teil einer bedeutsamen Ost-West-Verbindung im APG-Netz. Er dient dazu, Windenergie aus dem Weinviertel oder von der Pannonischen Platte im Burgenland bei Bedarf in ganz Österreich zu verteilen. Überschüssiger Windstrom kann über diese Leitung außerdem zu den Speicherkraftwerken in den Alpen transportiert werden.

„APG investiert in den kommenden zehn Jahren rund 3,5 Milliarden Euro in die Netzinfrastruktur, um den Herausforderungen einer sicheren Stromversorgung und der Energiewende gerecht zu werden“, sagt APG-Unternehmenssprecher Christoph Schuh und kommt damit auf einen heiklen Punkt der Versorgungssicherheit zu sprechen. Durch die zunehmende Einspeisung von volatilem Wind- und Sonnenstrom wird es immer schwieriger, das Gleichgewicht im Netz zu halten. Eine logistische Herkulesaufgabe. Elektrische Energie hat nämlich die physikalische Eigenschaft, dass sie nicht auf Vorrat hergestellt werden kann. Erzeugung und Verbrauch müssen zu jedem Zeitpunkt gleich groß sein. Netzbetreiber haben in diesem Sinne für eine ständige Regelung der Frequenz zu sorgen. Gelingt das nicht, droht in Österreich das Licht auszugehen.

Blackout-Vorkehrungen

Die Gefahr eines flächendeckenden Strom-, Infrastruktur- und Versorgungsausfalls mit dramatischen Konsequenzen halten Sicherheitsexperten wie Generalmajor Johann Frank, Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie in Wien, für durchaus realistisch. „Österreich ist bereits mehrfach, zuletzt am 9. Jänner 2021, an einem Blackout knapp vorbeigeschrammt.“ Zu den zunehmenden Bedrohungen, die zum Anlass eines Blackouts werden können, zählen Experten wie Frank neben Cyberattacken und Terrorangriffen auch die Netzinstabilität aufgrund der immer dezentraleren Stromversorgung.

„Um auf den nicht ausschließbaren Ernstfall eines überregionalen und längerfristigen Stromausfalls möglichst gut reagieren zu können, wird der Umgang mit einem Worst-Case-Szenario regelmäßig von Teams der Verteilernetzbetreiber im Zuge von Katastrophensimulationen geübt“, erzählt Johannes Zimmerberger, Geschäftsführer des Strom- und Gasnetzbetreibers Linz Netz. Um ein sich anbahnendes Blackout möglichst rasch zu erkennen, wurde zudem ein österreichweites Warnsystem installiert, das Austrian Awareness System (AAS), das die Netzbetreiber über den Netzzustand in den Nachbarregionen informiert.

Prämisse Netzausbau

„Bricht das Stromnetz trotz aller Vorkehrungen zusammen, muss versucht werden, es so schnell wie möglich wiederaufzubauen. Für einen sogenannten Schwarzstart ist ein leistungsfähiges Kraftwerk erforderlich, das ohne fremde Hilfe in Betrieb genommen werden kann“, erläutert Zimmerberger. Ein Windpark eignet sich dafür nicht. Was es braucht, ist entweder ein Wasserkraftwerk oder eine Gasturbine. Bei Linz Netz kann das Fernheiz-Kraftwerk Linz Süd diese Rolle übernehmen. Auf den Schwarzstart würde im nächsten Schritt der Aufbau einer Netzinsel durch Weiterschalten der Spannung zu weiteren Umspannwerken erfolgen.

Einig sind sich die Fachleute, dass die Herausforderungen nur mit leistungsfähigen Übertragungs- und Verteilernetzen gemeistert werden können. „Der letzte Störfall hat gezeigt, dass die Sicherheitsvorkehrungen schnell und zuverlässig wirken, aber auch, dass es Versorgungssicherheit nicht zum Nulltarif gibt“, sagt Michael Strugl, Präsident der Interessenvertretung Oesterreichs Energie. Weitere erhebliche Investitionen in den nationalen und europäischen Netzausbau, in Speicherkapazitäten, systemische Kraftwerkskapazitäten und zusätzliche Flexibilitätsoptionen für den Krisenfall hält Strugl für unverzichtbar.

AUF EINEN BLICK

Der Grad der Versorgungssicherheitmit Strom beträgt in Österreich 99,99 Prozent. Laut Störstatistik der E-Control Austria betrug im Vorjahr die kundenbezogene Nichtverfügbarkeit für Österreich lediglich 40,07 Minuten, davon 13,50 Minuten geplante und 26,57 Minuten ungeplante Versorgungsunterbrechungen. Laut einer Studie der Johannes-Kepler-Universität Linz verursacht jede Stunde ohne Strom 92 Millionen Euro Schaden für die heimische Volkswirtschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2021)

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