Das Kinderstück „Zoes sonderbare Reise durch die Zeit“ im Akademietheater zeigt, wie Umwelt-Lehrstück für Kinder sein kann. „Ich, Ikarus“ im Vestibül der Burg ist etwas schwerere Kost.
Prodesse et delectare, nützen und unterhalten: Das wollten Künstler schon lang vor den Aufklärern. Horaz sah es freilich noch als Entweder-oder. Tatsächlich gelingt es bis heute nur wenigen, Erzieherisches so in die Kunst hineinzuschmuggeln, dass es dem Genuss nichts - oder zumindest kaum etwas - nimmt.
Am Akademietheater kann man anhand einer Uraufführung jetzt ein Beispiel dafür genießen. Eine junge Frau namens Zoe verschlägt es mittels einer Waschmaschine, die zur Zeitmaschine mutiert, auf eine sonderbare Insel. Wie sich herausstellt, besteht die Insel aus Müll. Es gibt sogar Tiere darauf, aber selbst diese armen Wesen sind halb aus Plastik.
Wie düster das alles klingt! Sähe die Bühne so aus, es wäre zum Davonlaufen. Stattdessen leuchtet alles in besonderen, geschmackvoll arrangierten Farben. Die greise Inselgöttin sitzt mit zerknittertem Gesicht in einem malerisch bunten Berg aus Altgewand und Fischernetz-Fetzen. Schildkröte und Pelikan, die hier gerettet werden, möchte man auf der Stelle mit nach Hause nehmen. Glitzernde Fischschwärme ziehen vorbei, als Zoe auf Tauchgang geht – und schon nach kurzer Zeit vergisst man bei diesem Unterwassererlebnis momentweise glatt, dass Zoe nicht im Meer und man selbst im Theater ist.
Und das alles ohne 3-D. Und ohne hochgerüstete Bühnentechnik – was hier zu fliegen scheint, wird von Schauspielern herumgetragen. Äußerstes Geschick und ein Vierteljahrhundert Erfahrung sind in dieser Koproduktion zu spüren. Die Britin Sue Buckmaster mit ihrer auf Familientheater spezialisierten Truppe Theatre-Rites zieht hier die Fäden. Aber Wien steuert die Schauspielkunst bei. Nichts wirkt aufgesetzt und anbiedernd in der Darstellung der Zoe durch das junge Burgtheater-Ensemblemitglied Safira Robens. Ein zweiter Glanzpunkt ist Dorothee Hartinger als Tupperware: eine amerikanische Vorzeigehausfrau der 1950er-Jahre, herrliche Mischung aus frech und etepetete, die ihrem Umkreis die unglaublichen Vorzüge einer großen neuen Erfindung namens Tupperware demonstriert.
Als man noch aufs Plastik hoffte
Die Inselgöttin hat als Teil ihres Plans außer Zoe und Tupperware noch einen Bohrinsel-Arbeiter aus den 1980er-Jahren per Zeitreise zu sich beordert. So erfährt Zoe – und mit ihr das junge Publikum – von den unglaublichen Hoffnungen, die man einst in das Plastik setzte, bevor es zur Qual für den Planeten wurde.
Man hätte die Apokalyptik dieser Zukunftsvision auch etwas herunterschrauben können, ohne der Wirkung zu schaden, ebenso die Überdeutlichkeit der Message: Eine im Plastikmüll versinkende Welt als fixe Zukunft, sofern nicht Zoe – Repräsentantin unserer Gegenwart – auszieht, um „den Planeten zu retten“? Gott sei Dank konterkariert dieses Stück zugleich an allen Ecken und Enden die düstere Botschaft.Nicht nur mit seinem angedeuteten Happy End, sondern vor allem, weil es in seiner Spielfreude, seinem Einfallsreichtum und den liebevollen, farbenfrohen Details so viel zuversichtliche Lebensfreude ausstrahlt.
„Ich, Ikarus": Edel-Ästhetik, tolle Darsteller
Hier eine knallige Müllinsel der Zukunft, da die Insel Kreta in mythischen Zeiten: Ebenfalls am Wochenende hatte im Vestibül des Burgtheaters das Jugendstück „Ich, Ikarus“ Premiere. Ikarus strebt hier aus der Enge der Herkunft nach Freiheit. Auch hier brilliert junge Schauspielkunst (Mariam Avaliani, Max Lamberti). Doch ob das junge Publikum bereit ist, in dieser minimalistischen, symbolistisch angehauchten Edel-Ästhetik nach Perlen des Tiefsinns zu suchen? Trotz der „Ab 9“-Empfehlung ist das wohl doch etwas für reifere, kritische Jugendliche – mit Vorkenntnis des Mythos.
"Zoes sonderbare Reise durch die Zeit" im Akademietheater: 17., 22., 23. und 28. November sowie 2., 12., 21. und 26. Dezember, jeweils 10.30 oder 11.00 Uhr. „Ich, Ikarus“: 2. Dezember 11 Uhr, 4. Dezember 16 Uhr.