Den Tod des eigenen Kindes erleben

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Jährlich sterben 400 Kinder an unheilbaren Krankheiten. Die meisten leiden an sehr seltenen Stoffwechselerkrankungen. Seit 5 Jahren hilft das mobile Kinderhospiz kranken Mädchen und Buben, Eltern und Geschwistern.

Miriam ist drei. Blaue Augen, blonde Locken, sie sieht ein bisschen wie ein Engelchen aus. Miriam ist sehr blass, und sie spricht leise, sehr leise. Sie lächelt oft, ihre Augen aber wirken müde, manchmal auch traurig. Miriam ist krank, todkrank.

In Österreich sterben jährlich rund 400 Kinder an unheilbaren Krankheiten, nur etwa vier Prozent davon an Krebs. Die meisten leiden an sehr seltenen Stoffwechselerkrankungen wie zystischer Fibrose oder Mukopolysaccharidose, an schweren Organdefekten, viele sind mehrfach behindert – wegen eines Sauerstoffmangels bei der Geburt.

Lisa ist mit 66 Tagen gestorben

„Meine Tochter ist mit 66 Tagen gestorben. Ich habe vier Wochen gebraucht, um zu begreifen, was los ist, um zu akzeptieren“, schildert Sabine Reisinger. Heute – 13 Jahre nach diesem tragischen Ereignis – sagt sie noch immer: „Ich habe drei Kinder, die Mittlere, die Lisa, ist gestorben, sie wäre heute 13 Jahre.“

Gemeinsam mit der Palliativ-Ärztin Dr. Brigitte Humer-Tischler hat die Lebensberaterin und Trauerbegleiterin Reisinger vor fünf Jahren in Wien das mobile Kinderhospiz Netz gegründet: um Familien im schwierigen Prozess rund um das Leben mit einem todkranken Kind, rund um das Abschiednehmen beizustehen; um Familien dabei zu unterstützen, dass sie als Familie nicht an der Tragödie zerbrechen.

Sie verlieren ihre Kindheit

„Einen todkranken Angehörigen zu pflegen, stellt schon eine enorme Belastung dar. Ist dieser Angehörige auch noch ein Kind, sind alle Beteiligten rasch am Ende ihrer seelischen und körperlichen Kräfte“, weiß Dr. Humer-Tischler. „Während erwachsene Palliativ-Patienten durchschnittlich 18 Tage lang der Betreuung bedürfen, beträgt diese Zeit bei Kindern rund vier Jahre.“

Das Kinderhospiz will es ermöglichen, dass die letzten Tage, Wochen, Monate, Jahre für die unheilbar kranken Kindern möglichst harmonisch sind. Eltern werden seelisch, aber auch in praktischen Angelegenheiten unterstützt, man will der Familie eine Insel der Normalität schenken, „das Hauptaugenmerk unserer Betreuung liegt aber auf den Geschwistern“, betont Reisinger. „Diese Kinder haben täglich bedrohliche Erlebnisse, die sie nicht verarbeiten können.“ Sie verlieren nicht nur ihren Bruder, ihre Schwester, so die Lebensberaterin, sie verlieren auch ihre Eltern, sie verlieren ihren Alltag, ihre Kindheit.

Gesprächspartner, Trauerbegleiter

Beispiel: Der siebenjährige, todkranke Kerem hängt am Beatmungsgerät. Sein vierjähriger Bruder Emin leidet an einer schweren Stoffwechselkrankheit. Der Vater hat die Familie verlassen. „Der sechsjährige Kaan ist nun quasi das Familienoberhaupt, an ihm hängt die ganze Last, das kann er freilich nicht verkraften“, erzählt Reisinger. „Wir ermöglichen es ihm nun, dass er wenigstens zweimal die Woche Fußball spielen kann.“

In anderen Familien sei es notwendig, mit den Kindern zu lernen, in wieder anderen müsse man in der Schule vorsprechen. „Wir hatten beispielsweise auch eine Familie mit einem zehnjährigen Buben mit angeborenen Organschäden. In dieser Familie hat sich alles nur noch um das kranke Kind gedreht, sonst gab es nichts mehr. Die Freunde haben sich alle zurückgezogen, die Familie war total vereinsamt. Der Bub ist vor einem Jahr gestorben, wir betreuen die Eltern heute noch.“

Das Team des Kinderhospizes, das aus professionellen Beratern, Therapeuten, medizinischem Personal und geschulten Ehrenamtlichen besteht, ist Gesprächspartner für die Familie, berät in sozialen und finanziellen Fragen, übernimmt alltagspraktische Tätigkeiten, bietet umfassende Trauerbegleitung und kümmert sich freilich auch um die todkranken Kinder.

Das tut weh, macht einsam

„Wir haben etwa einen Siebenjährigen, der geistig ziemlich auf der Höhe ist. Er ist aufsteigend gelähmt, irgendwann wird seine Lunge nicht mehr atmen können. Die Eltern des Buben sind beide berufstätig und haben wenig Zeit. Unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter gehen zweimal die Woche mit ihm ins Kaffeehaus oder Eis essen.“

In einer anderen Familie gibt es ein Kind, das alle vier Stunden inhalieren muss. „20 bis 40 Minuten dauert allein die Vor- und Nachbereitung“, schildert die Palliativ-Medizinerin. „Eine unglaubliche Leistung, die eine pflegende Person über Wochen, Monate, Jahre allein damit erbringt.“ Das tue nicht nur weh, das mache auch einsam. Aus dieser Einsamkeit wolle das Kinderhospiz heraushelfen, wolle der betreuenden Mutter ein wenig Freiraum schaffen, wolle es ihr ermöglichen, ein paar Sonnenstrahlen zu spüren.

Nur über Spenden finanziert

Für die betroffenen Familien ist die Betreuung kostenfrei. „Pro Monat kostet die Begleitung einer Familie rund 500 Euro“, erwähnt Reisinger. „Wir finanzieren das momentan ausschließlich über Spenden.“ (Spendenkonto: BAWAG 14000, Kto.-Nr. 17210 804 897)

Vielfach können den sterbenskranken Kindern durch die Unterstützung des mobilen Kinderhospizes lange Krankenhausaufenthalte erspart werden, sie können die letzten Wochen, Jahre ihres kurzen Lebens im Kreise der Familie verbringen. Humer-Tischler: „Denn für ein krankes Kind ist die schönste Umgebung die eigene Familie.“ So wie für Miriam. Sie und ihre Eltern dürfen die letzte Zeit gemeinsam verbringen. Sie wissen, dass diese Zeit begrenzt ist, aber sie wissen nicht genau, wie lange es noch ein gemeinsames Morgen gibt.

Wenn Kinder sterben

In Österreich sterben jährlich rund 400 Kinder.

Um einen Teil dieser todkranken Kinder und ihre Angehörigen kümmern sich in Österreich u.a. das Kinderhospiz Sterntalerhof im Burgenland (✆ 0664/214 03 98, www.sterntalerhof.at) und das mobile Kinderhospiz Netz in Wien (✆ 0664/734 026 41).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2010)

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