Wort der Woche

Langzeitfolgen

Mit einer bislang einzigartigen Sammlung von Daten illustriert die OECD das Leben in der Pandemie. Demnach sind v. a. die Unterschiede in der Gesellschaft stark gewachsen.

Laut Johns Hopkins University gibt es weltweit bisher mehr als 260 Mio. bestätigte Corona-Infektionen und 5,1 Mio. Todesfälle. Sars-CoV-2 hat eine der größten Gesundheitskrisen der jüngsten Zeit verursacht – und im Gefolge eine Wirtschafts- und Sozialkrise, die alle Bereiche des Lebens und Arbeitens berührt – mit potenziellen Langzeitfolgen, wie der eben veröffentlichte OECD-Bericht „COVID-19 and Well-being“ nahelegt. Die OECD hat vor rund zehn Jahren einen Rahmen für die Erfassung zahlreicher Faktoren, die das Wohlergehen der Menschen maßgeblich beeinflussen, geschaffen. Das reicht von wirtschaftlichen und sozialen über humanitäre und ökologische Parameter bis hin zum Bildungsbereich und der Work-Life-Balance. Mit den gesammelten Daten sind die OECD-Forscher nun in der Lage, ein vielschichtiges Bild vom Leben im ersten Jahr der Pandemie zu zeichnen.

Die meisten dieser Fakten sind für sich gesehen nicht neu – aber immer noch erschreckend: So ist etwa die Lebenserwartung der Menschen in den OECD-Ländern um sieben Monate gesunken. Der Anteil der Menschen, die sich einsam fühlen, ist von 14 auf 19 Prozent gestiegen. Und fast jeder Dritte kämpfte Ende 2020 mit finanziellen Problemen.

Die Zusammenschau der Daten macht indes eines sehr deutlich: Die Polarisierung der Gesellschaft, die Unterschiede zwischen Altersgruppen, Geschlechtern, Qualifikations- und Einkommensniveaus, ethnischen Gruppen usw. haben durch die Pandemie stark zugenommen. Bestehende Herausforderungen wurden verstärkt: Jene, die schon vor der Pandemie mit schwierigen Lebensbedingungen zu kämpfen hatten, wurden härter getroffen – die „Benachteiligungen akkumulieren und überschneiden sich“, heißt es in dem Bericht. Einige Beispiele: Die Sterblichkeit an Covid-19 ist in ethnischen Minderheiten doppelt so groß wie im Rest der Gesellschaft. Ältere Menschen haben mehr gesundheitliche Folgen zu tragen, jüngere leiden verstärkt an psychischen Problemen. Frauen, so die Autoren, stünden viel häufiger an der „Frontlinie der Pandemie“. Und Arbeiter mussten doppelt so oft ihre Jobs aufgeben wie Menschen mit hochwertigen Tätigkeiten (die auf Teleworking ausweichen konnten).

Und: Jeder Dritte fühlt sich von der Gesellschaft ausgeschlossen – vor der Pandemie war es jeder Fünfte. Die OECD rät daher zu einem umfassenden politischen Ansatz, der die kurzfristige Erholung mit langfristigen Zielen – v. a. die Verringerung der Ungleichheit in der Gesellschaft – verbindet.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2021)

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