Bilanzskandal

Wirecard-Vermögen: Gestohlen oder nur erfunden?

Archivbild: Fabio De Masi, Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke, kommt mit einem Aktenordner, auf dem die Fahndungsfotos des ehemaligen Wirecard-Vorstandsmitglieds Jan Masalek befestigt sind, in den Untersuchungsausschuss zum Bilanzskandal der Wirecard AG.
Archivbild: Fabio De Masi, Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke, kommt mit einem Aktenordner, auf dem die Fahndungsfotos des ehemaligen Wirecard-Vorstandsmitglieds Jan Masalek befestigt sind, in den Untersuchungsausschuss zum Bilanzskandal der Wirecard AG.APA/dpa/Kay Nietfeld
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Die verschwundenen Milliarden der Pleitefirma hätten nie existiert, sagt der Insolvenzverwalter zum „Handelsblatt“. Und widerspricht damit Ex-Wirecard-Chef Markus Braun.

Eineinhalb Jahre ist es her, dass der Finanzdienstleister Wirecard aufgrund eines Bilanzskandals in die Pleite geschlittert ist. Es stellte sich heraus, dass 1,9 Milliarden Euro, fast ein Drittel der Bilanzsumme des Jahres 2018 – des letzten Jahres, für das Wirecard ein Testat erhielt – verschwunden waren. Für den Abschluss 2019 verweigerte der Wirtschaftsprüfer EY die Bestätigung, der Skandal wurde offiziell. Wirecard ging pleite, der Aktienkurs rasselte in die Tiefe, ein Börsenwert von 20 Milliarden Euro wurde nahezu ausgelöscht, zahlreiche Anleger verloren Geld.

Doch wo sind die 1,9 Milliarden, die auf Treuhandkonten in Asien liegen sollten? Dieses Geld habe es nie gegeben, sagte Insolvenzverwalter Michael Jaffé zum „Handelsblatt“. Es stehe endgültig fest, was sich bereits vorher aus zahlreichen Indizien ergeben habe: „Das behauptete und bilanzierte TPA-Geschäft (,Third Party Acquiring', Drittpartnergeschäft) mit Milliardenerträgen hat es bei Wirecard nicht gegeben.“ Es sei schlicht erfunden worden.

Der Insolvenzverwalter hat sich Einblick in die Kontoauszüge der Banken in Singapur erkämpft. Demnach lagen auf zwei Konten des langjährigen Treuhänders Citadelle aus Singapur zum Jahresende 2017 und 2018 Beträge im Wert von weniger als 3000 Euro, auf einem dritten Konto ein Betrag von weniger als drei Millionen Singapur-Dollar (umgerechnet knapp zwei Millionen Euro). Dabei hätten es „ausweislich der Bilanzierung“ Ende 2017 knapp 713 Millionen Euro sein müssen, Ende 2018 schon mehr als eine Milliarde Euro. Weitere Konten von Citadelle seien bei der Bank nicht geführt worden. Auch Ende 2019 habe sich kein wesentlich anderes Bild ergeben. Es dürfte sich lediglich um Spesenkonten gehandelt haben.

So seien Tankfüllungen sowie Rechnungen einer Tanzbar oder eines Spielzeughändlers bezahlt worden. Das bedeutet auch: Wirecard dürfte schon viel früher insolvenzreif gewesen sein als erst im Juni 2020. Jaffé hat die Wirtschaftsprüfungsfirma Warth & Klein damit beauftragt, den genauen Zeitpunkt zu ermitteln. Die Untersuchung läuft aber noch. „Deren Ergebnisse werden die Anspruchsgeltendmachung unterstützen“, meint der Insolvenzverwalter.

Wenig Hoffnung für Gläubiger

Jaffé kommt damit zu einem Schluss, der von den Aussagen von Ex-Wirecard-Chef Markus Braun abweicht. Braun sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Er und seine Anwälte sagen, das Geld auf den Treuhandkonten habe es wirklich gegeben, die Erträge seien aber aus dem laufenden Geschäft gestohlen worden – von einer kriminellen Bande um den abgetauchten früheren Vorstand Jan Marsalek. Der ehemalige für das Asien-Geschäft zuständige Wirecard-Vorstand hat sich abgesetzt, er wird per internationalem Haftbefehl gesucht.

Mehrere deutsche Medienberichte, unter anderem auf der Website der „Tagesschau“ sowie gemeinsame Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, haben kürzlich diese Argumentation aufgegriffen und berichtet, dass die 1,9 Milliarden Euro wirklich existiert haben könnten und aus der Firma abgeflossen sein könnten. Angeblich sei mehr als eine Milliarde Euro in der Karibik versickert. Für Jaffé handelt es sich um Versuche Brauns, „die gegen das Bestehen des TPA-Geschäfts und der Treuhandkonten vorgetragenen Indizien zu entkräften oder als nicht zwingend darzustellen“.

Jaffé hat laut „Handelsblatt“ bislang weniger als eine Milliarde Euro eingetrieben. Dem gegenüber stehen 40.000 Forderungen, die sich auf etwa 15,8 Milliarden Euro summieren. Der Insolvenzverwalter macht Geschädigten wenig Hoffnung, dass am Ende des Verfahrens etwas für die Gläubiger übrig bleibt. Jaffé habe zwar eine „Vielzahl verdächtiger Zahlungen im Konzern identifiziert“ – insbesondere „im inkriminierten Umfeld des vermeintlichen TPA-Geschäfts“. Teilweise seien die Schreiben zur Geltendmachung von Forderungen aber „nicht einmal zustellbar“. Zudem hätten sich Anspruchsgegner in Insolvenzverfahren geflüchtet, „um die Weiterverfolgung etwaiger Zahlungsabflüsse zu erschweren“.

(b.l.)

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