Die Ich-Pleite

Ein Gläschen Rotwein und ein netter Gesprächspartner

Carolina Frank
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Im Lockdown merkt man, wie wenig man eigentlich braucht, um glücklich zu sein.

Das Gute am Lockdown ist ja, dass man merkt, wie wenig man eigentlich braucht, um glücklich zu sein. Ein netter Gesprächspartner, ein Gläschen Rotwein und ein gestreamter Film reichen vollkommen. Sicher, der nette Gesprächspartner fällt nicht vom Himmel. Und vielleicht hätte man rechtzeitig vorsorgen sollen. Denn wer jetzt noch keinen netten Gesprächspartner gefunden hat, findet keinen mehr. Auf der anderen Seite bleiben einem herumliegende Socken erspart. Und dieses gönnerhafte Lächeln, wenn er sagt: Wenn der Stecker nicht festsitzt, kann der Drucker auch nicht funktionieren. Und diese neue Serie kann ich mir auch allein anschauen.

Dafür muss ich nur mehrere Streamingdienst-Abos abschließen. Ich verteile großzügig meine Kreditkarten-Daten auf mehreren Websites. Aber die Serie kann ich trotzdem leider nicht anschauen. Ein scheißfreundlicher Algorithmus bietet mir als Hilfe seine 325 FAQs an. Alternativ könnte ich die Serie auch als DVD bestellen. Und obwohl es natürlich unlogisch ist, aber mitten in der Nacht erscheint mir das als die schnellere Lösung. Zweimal klicken und fertig. Drei Tage später liegt die Fernsehserie in meinem Postkastl. Dafür ist das DVD-Laufwerk nicht mehr dort, wo ich es einst hin­gelegt habe.

Auch an keinem anderen Ort in meiner Wohnung. Das weiß ich so genau, weil ich tatsächlich alles durchsucht habe. Einschließlich Tiefkühlfach, Spülkasten und Biomüll. Ich sitze vor dem Computer und starre direkt in das grinsende Gesicht des Algorithmus. Ich weiß, was er jetzt denkt: Dein netter Gesprächspartner hätte das Problem natürlich schon längst gelöst. Aber ich sage mir: Im Lockdown merkt man, wie wenig man eigentlich braucht, um glücklich zu sein. Ein Gläschen Rotwein reicht auch.

("Die Presse Schaufenster" vom 10.12.2021)

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