Konzerthaus

Schostakowitsch im Crescendo

Das dreitägige Gastspiel von Valery Gergiev und seinem Mariinsky-Orchester startete mit der Ersten und Vierten Symphonie.

Wie gut, dass der Konzertbetrieb am Sonntag wieder voll angeworfen werden durfte – und mit einem Paukenschlag begann: Valery Gergiev startete das dreitägige Gastspiel mit seinem Mariinsky-Orchestra im Wiener Konzerthaus mit Symphonien und Konzerten von Schostakowitsch. Wer sich aber einen „originalen“ oder gar „authentischen“ Schostakowitsch aus St. Petersburg erwartet hatte, wurde zu Beginn der Ersten Symphonie (1924–25) auf den Boden der Realität und der Enttäuschung geholt.

In der kapriziösen Allegretto-Einleitung passierte zuerst ein Trompeten-Schmiss, der in der Folge das gesamte Gebläse irritierte. Das „Werkl“ wollte einfach nicht laufen, ehe die Klarinette frech mit einem Marsch das Motto für die Diplomarbeitdes 19-jährigen Konservatoriumsstudenten vorgab. Letztendlich ergab sich bloß eine bescheidene Reverenz für Schostakowitschs Geniestreich – kaum orchestrale Brillanz oder aufrüttelnde Motivation, eher hat man das Werk unterschätzt und zu wenig geprobt.

Voll Spannung und erlesener Virtuosität dagegen das Zweite Klavierkonzert, das Schostakowitsch für seine Sohn Maxim in aller Kürze und Würze 1957 geschrieben hat. Musik von vorlauter Spielfreudigkeit und positiver Atmosphäre, kein Spur von Sarkasmus oder Depression. Denis Matsuev ist nun auch dank Gergiev der neue Fixstern am russischen Pianistenhimmel. Glasklarer, inhaltsgefestigter Anschlag mit Mitteilungskraft und seriöser Persönlichkeit. Eine Meisterleistung – auch in der präzisen Begleitung von Orchester und Gergiev. Und zur Belohnung ein Encore-Bonbon: der Scherzwalzer „Die Spieldose“ (1893) von Anatoli Ljadow.

Die mutigste aller Symphonien

Nach der Pause dann allerschwerste Kost mit der Vierten Symphonie (1935-36). Mit dem von Stalin initiierten vernichtenden „Prawda“-Artikel war nicht nur die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ gemeint, sondern auch diese C-moll-Symphonie. Schostakowitschs eigene Distanzierung ist zu relativieren. Es geht um bekenntnishafte Musik im Sinne von Bruckner und Mahler, formal total verquer, mit dem Ausdruck von Verbitterung, Enttäuschung und Resignation in einem Gewitter schräger Klänge und erschreckender Dissonanzen – weiter als hier wagte sich Schostakowitsch nie wieder vor.

Das Mariinsky-Orchestra hatte sich da zu einem Klasse-Orchester hochgespielt, Gergiev zeigte die peinigenden Klangkaskaden gestikulierend und tänzelnd im Detail an – und wusste zu berühren, ja zu erschüttern.

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