Koblenz

Lebenslange Haft in Prozess um Staatsfolter in Syrien

APA/AFP/BERND LAUTER
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Das Gericht spricht den 58-Jährigen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig. Unter seiner Aufsicht sollen in Syrien Tausende Häftlinge gefoltert worden sein.

Im weltweit ersten Prozess um Staatsfolter in Syrien hat das Koblenzer Oberlandesgericht (OLG) den Angeklagten am Donnerstag zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Richter sprachen den 58-jährigen Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 27-fachen Mordes, Folter und weiterer Delikte schuldig. Der Beschuldigte war laut Anklage früher Mitarbeiter des Geheimdiensts des syrischen Machthabers Bashar al-Assad und soll ein Gefängnis geleitet haben.

Menschenrechtler würdigten das Urteil als bahnbrechend. "Das ist
wirklich historisch", sagte der Geschäftsführer der
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bei einer
Pressekonferenz am Donnerstag im schweizerischen Genf. Der
Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Markus N.
Beeko, erklärte in Berlin, das Urteil sei ein "historisches Signal
im weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit". Weitere Prozesse in
Deutschland und anderen Staaten müssten nun folgen.

Das European Centre for Constitutional and Human Rights erklärte,
der Koblenzer Staatsfolter-Prozess habe gezeigt, was die
internationale Strafjustiz nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip
"bei allen Defiziten" leisten könne. Das Urteil schaffe eine "solide
Basis" für andere Strafverfolger.

Richter zollt Opfern Anerkennung

Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft, die in dem Prozess die
Anklage führte, hatte der Angeklagte früher im berüchtigten
Al-Khatib-Gefängnis in der syrischen Hauptstadt Damaskus als
militärischer Befehlshaber gewirkt. Unter seinem Kommando waren
demnach zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4000
Häftlinge mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden
sein. Viele Gefangenen starben durch die Misshandlungen.

In der Urteilsbegründung am Donnerstag zollte der Vorsitzende
Richter den überlebenden Opfern, von denen knapp 80 in dem rund
zweijährigen Verfahren als Zeugen ausgesagt hatten, Anerkennung. Sie
hätten teilweise trotz großer Furcht vor dem syrischen Regime
ausgesagt. Sie hätten dies getan, obwohl sie um sich selbst oder
ihre Familien gesorgt hätten. "Dafür gilt ihnen mein ganzer
Respekt."

Das Urteil in dem weltweit beachteten Prozess entsprach dabei
weitgehend der Forderung der Anklage. Die Verteidigung von R. hatte
einen Freispruch gefordert. Nach ihrer Darstellung war der
Angeklagte für Folterungen in Al-Khatib nicht verantwortlich.

Geflüchtete Opfer erkannten Peiniger

Die Bundesanwaltschaft hielt dem in ihrem Plädoyer entgegen, dass
R. als militärischer Befehlshaber die Vernehmungsbeamten und
Gefängniswärter zum Dienst in der Haftanstalt eingeteilt und ihre
Arbeitsabläufe bestimmt. Er habe auch über das Ausmaß der Folter
Bescheid gewusst. Die Misshandlungen hätten dabei dazu gedient,
Geständnisse zu erzwingen und Informationen zu erlangen.

In dem im April 2020 gestarteten Prozess war auch ein zweiter
Mann angeklagt, der als Untergebener von R. an den Folterungen
beteiligt war. Ihn verurteilte das Koblenzer Gericht bereits vor
fast einem Jahr im Februar 2021 in einem abgetrennten Verfahren
wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb
Jahren Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Ins Rollen waren die Ermittlungen und der Prozess gegen die zwei
Männer, weil nach Deutschland geflüchtete frühere Opfer ihre
mutmaßlichen Peiniger wiedererkannt hatten. Die Beschuldigten wurden
dann im rheinland-pfälzischen Zweibrücken sowie in Berlin
festgenommen. Dass der Prozess in Deutschland stattfindet, liegt am
sogenannten Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. Demnach dürfen
auch Taten verhandelt werden, die keinen unmittelbaren Bezug zu
Deutschland haben.

Während der Prozess in Koblenz vor dem Ende steht, beginnt am 19.
Jänner vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eine weitere
Verhandlung zu staatlicher Folter und Mord in Syrien. Angeklagt ist
ein syrischer Arzt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er
soll Gefangene gefoltert und einen von ihnen vorsätzlich getötet
haben.

(APA)

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