Unterwegs

Sicher reisen ist langweilig

Gemeine Bettwanze
Gemeine Bettwanze(c) imago/blickwinkel (imago stock&people)
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Reisen ist sicher geworden, also langweilig. Uns fehlen die wilden Schauermärchen aus früheren Zeiten.

Bevor die Nazis das Viertel um den alten Hafen von Marseille wegsprengten, konnte man dort noch richtig etwas erleben. In ihrem wunderbaren Riviera-Büchlein von 1931 berichten die Geschwister Erika und Klaus Mann von einer „Dame mit zu auffallenden Ohrringen“, der dort „unlängst zugleich mit ihrem Geschmeide die Ohren abgeschnitten“ wurden: „Das ist authentisch.“ Ist es das?

Diese Frage stellt sich bei argen Reiseberichten von alters her. Passagiere in Postkutschen unterhielten sich prächtig mit Schauergeschichten über Räuber und Wegelager. Die spanischen Entdecker des Amazonas benannten den Fluss nach Indio-Kriegerinnen, die sich dort angeblich genauso aufführten wie im antiken Mythos. „Grausam und blutrünstig“, fast nackt, zielten sie mit ihren Pfeilen stets auf die Augen ihrer Feinde. Und zu Hause in ihren Dörfern murksten sie ihre männlichen Babys ab.

Ähnlich wilde Sachen gibt es heute nur noch in Japan, im verfluchten Dorf Inunaki. Man weiß nur vage, wie man hinkommt, weil keiner, der den Zugang gefunden haben mag, lebend zurückgekehrt ist. Jedenfalls, so munkelt man, frönt der dort wütende Clan dem Kannibalismus. Das hat schon Videospiele und Horrorfilme inspiriert.

Allgemein ist Reisen aber langweilig sicher geworden. Selbst die waghalsigen YouTuber, die mit Selfiestick durch brasilianische Favelas irren, hoffen meist vergeblich, dass sie heroische Opfer von Raub oder Raufhandel werden. Der schlimmste Grusel, von dem man auf Tripadvisor und Co. lesen kann, sind meist Mäuse am Hotelbalkon und Wanzen im Bett. Huch! Und: Juhu!

karl.gaulhofer@diepresse.com

Nächste Woche: Christoph Zotter

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2022)

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