Randerscheinung

Völlig zerlernt

Carolina Frank
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Tatsächlich bin ich richtig froh, Bildungseinrichtungen aller Art ein für alle Mal entronnen zu sein. Wobei ich deren Besuch durchaus in die Länge gezogen habe.

Die beiden großen Buben sind völlig zerlernt. Zwei Riesenprüfungen Ende Jänner werfen ihre Schatten voraus und unter ihre Augen. „Und, ist es machbar?“, frage ich und will wissen, ob es sich mit dem Stoff bis zum Termin ausgehen kann. „Sicher ist es machbar, wenn man wahnsinnig viel macht bis dahin“, meint der blasse Mittlere schulterhängend und fragt mich: „Wann hast du eigentlich das letzte Mal auf eine Prüfung gelernt?“ „Hm, lass mich überlegen, vor 23 Jahren oder so, seither lebe ich von der Substanz“, sage ich und zelebriere das ein bisschen.

Tatsächlich bin ich richtig froh, Bildungseinrichtungen aller Art ein für alle Mal entronnen zu sein. Wobei ich deren Besuch durchaus in die Länge gezogen habe. Zuletzt haben sogar die Träume rund um Mathematik-Matura und für den Abschluss fehlende Proseminar-Scheine aufgehört. Der Jüngste steht neben der ganzen Lernerei, die, ich wiederhole mich, einem Elfjährigen zu wenig frei verfügbare Zeit für alles andere übrig lässt, noch vor einer Grundsatzentscheidung: Latein oder Französisch ab der Dritten? Seine Brüder, die beide beides hatten, sind sich einig: „Ich hab’ das Argument für Latein nie verstanden. Man lernt eine tote Sprache, um dann leichter eine lebende romanische lernen zu können? Da lerne ich doch gleich die lebende, oder?“, meint der Älteste, was sein Bruder beifällig abnickt. Da der Jüngste ohnehin zu Französisch neigt, verkneife ich mir den Hinweis, dass mein Französisch alles andere eher ist als eine lebende Fremdsprache.

Wobei sich auch mein Großes Latinum eher klein anfühlt. Französisch also für den Jüngsten, die Großen haben sich inzwischen mit einem doppelten Espresso an ihre Schreibtische verrollt. Es gibt auch Dinge, die hinter sich zu haben sich gut anfühlt. 

("Die Presse Schaufenster" vom 21.1.2022)

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