Mode in Paris

Haute Couture, wieder hautnah

Auch Designer Elie Saab zeigte seine diesjährige Haute-Couture-Kollektion wieder in Paris.
Auch Designer Elie Saab zeigte seine diesjährige Haute-Couture-Kollektion wieder in Paris.REUTERS (VIOLETA SANTOS MOURA)
  • Drucken

Nach einigen halben Ausführungen der Haute-Couture-Woche in Paris scheint sich der Ablauf nun wieder jenem vor der Pandemie anzugleichen. Modehäuser verarbeiteten Geschehenes dabei ganz individuell - und versuchten einen Neuanfang.

Nach den Männermode- und den Haute-Couture-Schauen wird in Paris erst einmal ein bisschen Ruhe einkehren, zumindest bis dort die nächste Modewoche am 28. Februar beginnt. 15 physische Schauen, doppelt so viele wie vergangene Saison, im Juli 2021, wurden zuletzt in der französischen Hauptstadt ausgetragen. Die Bilder erinnerten an Zeiten vor der Pandemie. Die Häuser Chanel, Dior, Elie Saab, Jean Paul Gaultier, Schiaparelli, Valentino und Fendi zeigten ihr Kollektionen klassisch am Laufsteg. Mit letzterem feiert der für die Damenmode zuständige Kreativdirektor Kim Jones ein Debüt: Es ist seine erste Haute-Couture-Kollektion, die er seit Beginn des Amtsantritts bei Fendi analog vor Publikum zeigen konnte. Die Entwürfe für Herbst 2021 präsentierte Fendi etwa mit einem Kurzfilm, verantwortet von Luca Guadagnino („Call Me By Your Name").

Sieben weitere Labels luden zu analogen Präsentationsformen abseits des Catwalks ein, und sechs entschlossen sich bei einer digitalen Variante zu bleiben. Giorgio Armani etwa hatte seine Privé-Schau für das Frühjahr 2022 gleich ganz abgesagt, und auch Iris Van Herpen, die im Juli ein großes Event anlässlich ihres 15-Jahr-Jubiläums in der Modebranche plant, hatte sich gegen eine neue Kollekton im Rahmen der Couture-Schauen entschlossen. Stattdessen zeigte sie ausgewählte Looks aus früheren Kollektionen in ihrem Showroom im Atelier Néerlandais.

Die Zwanzigerjahre und ein Pferd

Am meisten Aufsehen erregt hat - zumindest außerhalb der kleinen Modebubble - vermutlich das Pferd als eröffnendes Element der Chanel-Show, die vorübergehend unweit des Eiffelturms im provisorischen Bau des „Grand Palais Ephémère“ stattfinden, während das historische Grand Palais einer Renovierung unterzogen wird. Welche Message der einreitenden monegassischen Prinzessin Charlotte Casiraghi im Chanel-Jäckchen mit auf den Sattel gegeben wurde, war nicht einfach zu entschlüsseln. Formal erinnerte die Kollektion wenig an Reitsport oder andere Freizeitbetätigungen.

REUTERS (VIOLETA SANTOS MOURA)

Für die Kollektion hatte sich die künstlerische Leiterin von Chanel, Virginie Viard, von den 20er-Jahren, mit all ihren Federn und Fransen, inspirieren lassen. Unter den sommerlichen Tweed-Kostümen - markant die Röcke, zusammengehalten durch einen einzelnen Knopf - schaut Spitze hervor. Hosenanzüge haben Schlitze von der Mitte der Wade bis zum Oberschenkel. Der Great-Gatsy-Bezug zeigte sich auch in hauchdünnen Chiffon- und Organzakleidern mit asymetrischem Saum.

beigestellt

Neben juwelenartigen Knöpfen, den handgewebten Tweeds und den Stickereien gab es Fransen aus Straußen- und Seidenranken, die einzeln angebracht und mit Kristallperlen besetzt waren - eine Hommage an die Handwerkskunst des Hauses, auf der die Haute Couture beruht.

beigestellt

Umkrempeln der Haute Couture

Wenn jemand darauf bedacht ist die Haute Couture ins Hier und Jetzt zu befördern, in ein Zeitalter, das versucht, Normen zu brechen, dann ist das derzeit am ehesten Pierpaolo Piccioli. Er ist Kreativdirektor des Hauses Valentino und Vater von drei Kindern, die wohl alle kurz vor oder Anfang der 20er stehen. Letzteres ist vermutlich auch der Ansporn, sich zu bemühen, die elitären Auswüche der Mode für eine sich selbst als „woke“ bezeichnende Generation schmackhaft zu machen. In seiner Kollektion sowie in deren Präsentation ließ er alte Codes der Haute Couture hinter sich, besonders hinsichtlich des üblicherweise wenig Diversität der Körperformen zulassenden Castings.

(c) giovanni_giannoni_photo

Unter dem Titel „Anatomie der Couture“ musste das weiße, schlanke, am meisten vertretene Schönheitsideal auf den Laufstegen anderen Schönheiten und Körperformen weichen. Das bedeutete auch die Reformierung des Designprozesses. Die meisten Modehäuser arbeiten für ihre Haute-Couture-Kollektion mit einem Hausmannequin, dessen Maße auf alle Looks übertragen werden. Piccioli hingegen hatte kurzerhand zehn ganz unterschiedliche Hausmodels engagiert. Wenn man bedenkt, dass die Idee der Haute Couture ist, die Silhouetten an den jeweiligen Körper der Kundin anzupassen, scheint dieser Schritt nicht allzu fern.

Seine charakteristischen römischen Formen und Drapierungen behielt er bei. Sie waren da und dort noch glamouröser als sonst, trotzdem schlicht. Ein Kleid aus schokoladenfarbenem, schimmerndem Stoff etwa, oder ein mit Pailletten bestickter, bodenlanger Godetrock.

(c) giovanni_giannoni_photo

Auch dem Alter seiner Models setzte der Kreativdirektor keine Grenze. Schauspielerin Marie Sophie Wilson etwa war eine der reiferen Frauen, die für das Maison Valentino im Einsatz waren. 

(c) giovanni_giannoni_photo

Fließend und formell

Das Tückische an der Haute Couture ist, dass meisterhafte Konstruktionen auf den ersten Blick bisweilen nicht als solche erkennbar sind. Jedoch wird alles in aufwendiger Handarbeit gefertigt, um den Couture-Status zu rechtfertigen und den Anforderungen der zuständigen Fédération de la Haute Couture zu entsprechen. Ein ecrufarbener Strickmantel aus Wolle bei Dior etwa sah so aus, als sei er in einem Stück gestrickt worden, weil die Nahtführung besonders raffiniert verlief.

(c) Frederique DUMOULIN

Anhand solcher Looks sieht man: Stickereien sind mehr als nur ein dekoratives Element, sie sind gleichwertiger Teil des Designprozesses. Mit ihrer Kollektion verschrieb sich Kreativdirektorin Maria Grazia Chiuri formellen Linien und einer ebenso nüchternen Farbpalette von Weiß-, Grau und Beigetönen sowie einigen schwarzen Looks.

(c) Frederique DUMOULIN

Die fließenden Silhouetten ihrer Kleider erinnern an ihre Handschrift bei den Ready-to-Wear-Kollektionen, bei der Couture-Schau wirkten sie allerdings statuenhafter. Ein langes Kleid aus silbernem Lamémusselin veranschaulicht dies ganz gut.

(c) Frederique DUMOULIN

Erbe neu gedacht

Diese Saison durfte Glenn Martens vom Label Y/Project seine Vision von Haute Couture für Jean Paul Gaultier ausleben. Er tat dies nach Chitose Abe von Sacai, die sich als erste Designerin letzte Saison der Aufgabe annahm. Vor zwei Jahren wurde Martens damit beauftragt, die Pandemie zog den Designprozess in die Länge. Was Martens getan hat, ist ikonische Stücke von Jean Paul Gaultier seinen eigenen - teils für Y/Projekt typischen - Anstrich zu verpassen. Dafür beispielhaft ist die Marinière, also das Matrosenshirt, das Martens mit Korallen in 3D-Optik besticken ließ und zum Kleid umarbeitete.

beigestellt

Typisch für Jean Paul Gaultier sind eben die Seemannsstreifen. Die ungewöhnliche, dekonstruierte Silhouette hingegen - das Abheben der Hüfte etwa - erinnert an Martens Entwürfe für sein eigenes Label Y/Projekt. Übrigens ist der Designer derzeit auch für Diesel tätig und war vorübergehend als möglicher neuer Modeprofessor an der Wiener Angewandten im Gespräch.

beigestellt

Ein cremefarbenes Strickpulloverkleid, ebenso angelehnt an einen Look von Jean Paul Gaultier, dekonstruierte Martens, indem er die gestrickten Zöpfe übereinander drapierte und so etwas Haut des Models zeigte. Die ganze Kollektion war eine Würdigung des bisherigen Werks von Gaultier, gepaart mit der experimentellen Eigenart von Martens. Auch hier könnte sich der Eindruck auftun, als würde man neben treuem Gaultier-Couture-Anhängsel, eine neue modeaffine Generation ansprechen wollen.

Kleiderkunst im großen Stil

Kaum eine Kollektion war in den vergangenen Tagen auf sozialen Kanälen so sehr präsent, wie diese: Daniel Roseberrys Kollektion für Schiaparelli wurde von zahlreichen Szenenkennerinnen und Interessierten gelobt und geteilt. Vielleicht ist das dem Jahr voller prominenter Looks zuzuschreiben - Lady Gaga, Adele, Cardi B sichtete man allesamt in Roseberrys Designs. Auch Schauspielerin Julia Fox, die neue Freundin von Ye (ehemals Kanye West) kleidete er zumindest oben herum für ihren Besuch der Männermodewoche in Paris ein. Es könnte also seine enge Verbindung zur Popkultur sein, die das Avantgardistische so präsent wirken lässt.

beigestellt

Roseberrys Entwürfe, die er im Petit Palais präsentierte, wirkten jedenfalls fast surreal, was dem Erbe von Elsa Schiaparelli, einer Zeitgenossin der Surrealisten um Dalí und Schöpferin des berühmten „Hummerkleids“ entspricht. Um ein schwarzes Korsett kreisten Messingringe, quallenähnliche Elemente und Tentakel aus vergoldetem Metall schlungen sich um die Körper der Models. Darunter: schlichte, aber durchaus raffinierte Kleider, die auch für sich stehen könnten.

Ein Kleid, das völlig zurecht mit Medusa, der Tochter der Meeresgottheiten, konnotiert wird - ist der Bezug doch offensichtlich - war die Veranschaulichung einer neuen im Haus entwickelten Technik. Dabei handelte es sich um nasses Goldleder, das über Tonskulpturen gespannt und so geformt wurde. Anschließend wurde der Entwurf mit Juwelen und Cabochon-Steinen besetzt.

beigestellt

Aufbruchstimmung

Elie Saab, der bahnbrechende libanesische Modeschöpfer, ist jener, der mittels seiner Couture-Kollektion mit Abstand am meisten Freude und Feierlaune verbreitet hat. Seine Frühjahrs-Couture-Entwürfe tauchte er in kräftige Farbtöne und bestreute sie mit Organza-Bougainvillea. Genu 55 der Kunstblüten waren mit Federn oder Strasssteinen, Rückenausschnitten, Perlen oder Pailletten bestückt.

(c) REUTERS (VIOLETA SANTOS MOURA)

Erstmals verwendete Saab Satin, genauso wie Taft, um Tüll aufzupeppen. Er experimentierte mit Minilängen und ausufernden Röcken, starken Schulterpartien. Seine Kleider waren in diesem Stil, den man sich gut und gerne an sämtlichen Hollywood-Stars am roten Teppich vorstellen kann.

(c) REUTERS (VIOLETA SANTOS MOURA)

Glitzer und Feenhaftes fand ebenso Eingang in seine Couture-Schau. Er wolle mit jeder Menge Schönem und Buntem eine unruhige Zeit, geprägt von Covid und Explosionen an Beiruts Hafen, hinter sich lassen, hieß es in einer Aussendung. Saabs letzte Laufsteg-Show fand 2020 statt, noch vor all den Reiseverboten und Abriegelungen - und vor der Explosion. Auch seine Räumlichkeiten wurden bei dieser schwer beschädigt, gestorben sei zum Glück niemand. Die Kollektion soll jetzt auf einen Neuanfang hindeuten und Betrachtenden jede Menge Freude schenken.

(c) REUTERS (VIOLETA SANTOS MOURA)

Ein Debüt aus anderen Welten

Eine galaktische Science-Fiction-Kulisse, die Kim Jones für seine Show in La Bourse aufbauen ließ, sorgte für düstere, futuristische Stimmung vor Ort. Man könnte genauso im Kino sein - nicht unbedingt, um sich eine romantische Komödie anzuschauen. Es handelte sich um seine erste Couture-Kollektion, die er seit Übernahme der Funktion als Kreativdirektor bei Fendi vor analogem Publikum präsentieren konnte.

Der Hingucker der Schau waren Nachbildungen der Statuen vor dem monumentalen Palazzo della Civiltà Italiana, dem Sitz von Fendi in Roms EUR-Viertel. Per Hand wurden sie auf opulente Stoffe gemalt - etwa auf Samtkleider mit hohem Stehkragen. So schaffte Jones eine kriegerische und kaiserliche Ästhetik zugleich, während er die antike Vergangenheit mit der imaginären Zukunft verknüpfte.

(c) ALDOCASTOLDI

Auch wurde viel drapiert, der fließende Stoff eines Minikleides etwa, was dem Look ein wenig Romantik verlieh. Der Schmuck dazu, entworfen von Silvia Venturini Fendis Tochter Delfina Delettrez und aus natürlichen Kristallgeoden und Amethysten gefertigt, brach mit genau dieser Romantik wieder und wirkte so groß am Hals eher wenig lieblich - beinah bedrohlich.

(c) ALDOCASTOLDI

(evdin)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.