Ottawa

Kanadische Truckerproteste "rassistisch konnotiert"

APA/AFP/GEOFF ROBINS
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Die in Ottawa unterrichtende Sozialwissenschaftlerin Mascha Gugganig sieht in den anhaltenden Protesten ein Aufbrechen lange schwelender Konflikte.

Wegen der anhaltenden und massiven LKW-Fahrer-Proteste in Ottawa wurde vergangenen Sonntag in der kanadischen Hauptstadt der Notstand ausgerufen. Die österreichische Sozialwissenschaftlerin Mascha Gugganig, die an der University of Ottawa unterrichtet und forscht, über ihre Eindrücke und ihre Einschätzung der aktuellen Situation.

"Die Menschen in Downtown sind einfach schon extrem fertig. Es stehen überall LKWs und Campervans und die Trucker haben die ganze Zeit über ihre Hupen betätigt." Seit als Gegenmaßnahme ein zehntägiges Hupverbot für ganz Ontario verhängt worden sei, würden die Trucker den Lärm mittels Anstartens der Motoren erzeugen.

Die Lärmbelastung sei aber nur eine Seite des Problems, sagt Gugganig, denn die Demonstranten verhielten sich oft aggressiv gegenüber Passanten, etwa weil diese Masken tragen.

„Großer Push von US-Seite“ 

Zudem hätten paradoxerweise viele Geschäfte in der Innenstadt von Ottawa ihre Geschäfte wegen der Proteste nicht aufmachen können, obwohl sie das nach dem Lockdown im Bundesstaat Ontario nun wieder dürften. Es gebe viel Unverständnis unter den Hauptstädtern, die die Probleme rund um die Einführung der Impfpflicht in der föderalen Struktur Kanadas sehen und sich daher zu Unrecht alleine von den Protesten betroffen fühlten.

Gugganig ortet, wie auch lokale Medien, die Wurzeln der Proteste im Unmut konservativer Wähler gegen den Wiederwahl-Coup des liberalen Premiers Justin Trudeau. Es gebe Berichte, wonach die Proteste schon im Oktober vergangenen Jahres geplant gewesen seien. Seither habe dieser Protest offenbar eine neue Dynamik und Zulauf aus unterschiedlichsten Lagern bekommen, nicht zuletzt dank einer Unterstützerkampagne, die bisher rund 10 Millionen kanadische Dollar (6,89 Mio. Euro) eingebracht habe. Es gebe offenbar auch "einen großen Push von der US-Seite". Viele Trucker bezögen sich auf ihren Transparenten auf Ex-US-Präsident Donald Trump.

Sie behandle das Thema Truckerproteste auch mit ihren Studentinnen und Studenten. "Ich versuche ihnen zu erklären, dass man sich das ganze wie ein soziales Drama vorstellen kann. Da gibt es jetzt diesen Krisenmoment, aber was passiert als nächstes? Wird sich das abschotten und sich zum Beispiel eine neue Partei bilden?"

Ideologisch bunte Menge an Protestierenden

Die Menge der Protestierenden sei ähnlich wie bei den Anti-Corona-Demos in Wien ideologisch bunt zusammengesetzt. Allerdings überwiege die weiße Mittel- bis Unterklasse. Es gebe in Kanada vielfach Kritik an der Polizei, weil diese gegen die Trucker viel weniger scharf vorgehe als etwa gegen Indigenen-Proteste oder Black-Lives-Matter-Kundgebungen. Dieser Umstand werde von den Medien wenig beleuchtet, so Gugganig.

Im Übrigen seien die Proteste auch "rassistisch konnotiert". Gegendemonstrationen gebe es nur wenige und hätten mit Hindernissen zu kämpfen. "Die Leute haben ziemliche Angst vor den Truckern und die Polizisten glaube ich auch". In der gegenwärtigen Situation manifestierten sich zahlreiche Problem der kanadischen Gesellschaft, die schon lange unter der Oberfläche schwelten.

"Es ist eine lang anhaltende gesellschaftliche Krise, die durch institutionelles Versagen von Polizei und der föderalen Verwaltung, vom Moment der Pandemie begünstigt, aufbricht." Gugganig sieht in den Truckerprotesten daher einen "Katharsismoment", in dem sich viele soziale Themen wie Rassismus, Klassenunterschieden oder Land-Stadtgefälle Ausdruck verschaffen. Die LKW-Fahrer Impfpflicht sei lediglich der "Zündstoff" gewesen.

(APA/DPA)

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