Randerscheinung

Erwachsenenleben

Carolina Frank
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Der Mittlere hat einen Plan für die nächsten Wochen: „Erwachsenenleben“. Schon sehr, sehr praktisch, so ein erwachsener Sohn.

„Andere Frisur, anderer Mensch“, sagt der Mittlere, dreht sich einmal im Kreis, um sich begutachten zu lassen. Er hat, nachdem er seine große Prüfung, den längst fälligen Besuch beim körpernahen Dienstleister und den Start in die Semesterferien erfolgreich hinter sich gebracht hat, einen Plan für die nächsten Wochen. „Erwachsenenleben“ nennt er das. Dazu gehört allen voran die Medientrennung, also das Serien- oder YouTube-Schauen erst ab 20 Uhr, Handy nicht ins Bett mitnehmen, sondern stattdessen lesen, Morgen- und Mittagjournal hören und Zeitung lesen (!). Dann in der Früh aufstehen, tatsächlich treffe ich ihn einen Tag später zu einer Uhrzeit an, zu der normalerweise nur der Hund und ich auf sind (ob der Hund mich aufweckt oder ich den Hund, wird in der Familie kontrovers diskutiert, ich bin der Einzige, der die Hund-weckt-mich-Theorie vertritt).

Sport gehört natürlich auch zum Erwachsenenleben. Ganze drei Tage hintereinander ist der Mittlere nun schon gelaufen und hat diverse Übungen gemacht. So federnd wie er geht, macht sich das offenbar schon in seiner Form bemerkbar. Ich möchte übrigens in nächster Zeit etwas weniger erwachsen leben in meinem Erwachsenenleben. Also einmal so richtig ­v­erschlafen, Essen bestellen statt zu kochen, ein paar Kilo zunehmen und gar nicht mehr zum Friseur gehen. Ich bin schon gespannt, wie der Hund darauf reagiert. Zum neuen Leben des Mittleren gehört übrigens auch, dass er den Hund sittet, während wir mit dem Jüngsten ein paar Tage Ski ­fahren. Also schon sehr, sehr praktisch, so ein erwachsener Sohn. Vor allem, wenn der Vater langsam beginnt, auszulassen. Übrigens war der alte Mittlere auch ziemlich in Ordnung, nur falls das Experiment doch nicht so lang dauern sollte!

("Die Presse Schaufenster" vom 11.2.2022)

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